“Papst lockert Kondomverbot!” – so schallte es am vergangenen Wochenende durch die Gazetten, als die halboffizielle Vatikan-Zeitung “L’Osservatore Romano” ein kurzes Vorab-Zitat zu dem Thema aus dem neuen Papst-Buch “Licht der Welt” veröffentlichte. Der Vatikan betonte zwar umgehend, “Benedikt XVI. habe “nichts Neues” gesagt, doch die “Sensation” war bereits in der Welt und heizte natürlich auch die Vorbestellungen für den gleichzeitig in acht Sprachen erscheinenden Interviewband mit dem deutschen Journalisten Peter Seewald über aktuelle Fragen von Kirche und Gesellschaft heftig an.
Nun ist “Licht der Welt” in den Buchhandlungen erhältlich, und die Lektüre der inkriminierten Passage im Gesamtzusammenhang bestätigt vollends die Einschätzung des Vatikans – bezieht sich Benedikt XVI. doch direkt auf seine Aussagen zu Kondomen und Aids bei seinem Flug nach Kamerun im Frühjahr 2009, für die er damals von westlichen Medien im Übrigen heftig geprügelt wurde. Er hatte dort zu einer “Humanisierung der Sexualität” gemahnt und betont, die Verteilung von Präservativen “vergrößert das Problem” nur, wenn die Afrikaner nicht “mithelfen, indem sie eigene Verantwortung übernehmen”. Der Papst warnt nun erneut vor einer “Banalisierung der Sexualität” durch die “bloße Fixierung auf das Kondom”, meint dazu aber ergänzend, dass etwa bei Prostituierten “die Absicht, Ansteckungsgefahr zu verringern, jedoch ein erster Schritt sein (kann) auf dem Weg hin zu einer anders gelebten, menschlicheren Sexualität”.
Die Zuspitzung der Medienberichterstattung auf die Kondom-Frage ließ leider einige andere, mindestens ähnlich interessante Aussagen des Papstes in der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend untergehen. So stellt er sich etwa deutlicher denn je hinter seinen Amtsvorgänger Pius XII. (1939-1958), dessen Seligsprechungsprozess weithin für Proteste gesorgt hat, da ihm “Schweigen” angesichts der Judenvernichtung vorgeworfen wird. Benedikt XVI. erinnert dagegen an die Aktionen, die der Papst im Zweiten Weltkrieg zur Rettung von Juden gesetzt hat, und erklärt dann unumwunden: “Da muss man, glaube ich, wirklich erkennen, dass er einer der großen Gerechten war, der so viele Juden gerettet hat wie kein anderer.”
Weniger Soundbyte-tauglich, aber umso ausführlicher kommt Benedikt zu den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche zu Wort. Diese sehr persönlichen Passagen, in denen das ehrliche Entsetzen des Papstes über die Vorfälle nicht zu überhören ist, gehören sicher zu den lesenswertesten Teilen von “Licht der Welt”. Überhaupt präsentiert sich Benedikt an zahlreichen Stellen erfrischend klar, etwa wenn er unumwunden meint, Priester, die mit Frauen zusammenlebten, “müssten” heiraten, falls “ein wirklicher Ehewille vorhanden” sei; “Lüge und Verheimlichung” dürfe es auf jeden Fall nicht geben. Fast anrührend sind indes seine Bemühungen, zu erklären, dass der – von den Protestanten vor allem in Deutschland als Affront angesehene – Ausdruck “kirchliche Gemeinschaft” für protestantische Kirchen ein “Versuch” sei, “das Besondere der protestantischen Christenheit zu erfassen und es positiv auszudrücken”.
Einen deutlichen Schwachpunkt des Buches bilden indes die Fragen von Peter Seewald, für den “Licht der Welt” nach “Salz der Erde” (1996) und “Gott und die Welt” (2000) bereits den dritten Interviewband mit Joseph Ratzinger darstellt. Während er in den früheren Büchern kurze, griffige Fragen formulierte und seine persönlichen Ansichten weitgehend im Hintergrund hielt, sind diesmal seine Wortmeldungen oft ausführlicher als die Antworten des Papstes. Der Journalist sieht sich zuweilen gar bemüßigt, kleine Co-Referate zu halten, die der Papst an einer Stelle mit der Bemerkung quittiert: “Sie haben eigentlich die Antwort schon gegeben.” Selbst wenn klar ist, dass den mit über 40 Jahren in die katholische Kirche zurückgekehrten Seewald mit dem Papst zahlreiche gemeinsame Ansichten und Anliegen verbinden, hätte es dem Buch gut getan, wenn der Interviewer weniger offen seine Zustimmung bekundet und sich ansonsten eher im Hintergrund gehalten hätte.
Eine positive Überraschung in dem angenehm zur Hand zu nehmenden Band sind indes der ausführliche Lebenslauf des Papstes und die Chronologie seines Pontifikates, sowie die Textauszüge aus dem “Brief an die Katholiken in Irland” (2010) zu den Missbrauchsfällen, aus der “Regensburger Rede” (2006) zum Islam und aus dem Interview beim Flug nach Kamerun zu Aids und Kondomen. Gerade angesichts der Fülle von Themen fällt das Sachregister jedoch mit nur zwei Seiten arg knapp aus, zumal auch die Struktur des Bandes wenig übersichtlich ist und an mehreren Stellen Gelegenheit zu thematischen Überschneidungen und Redundanzen gibt.
Alles in allem ist “Licht der Welt” zwar sicher nicht die Sensation, als die es verkauft wurde, bietet aber einen interessanten, unverstellten und persönlichen Blick in das Denken des deutschen Papstes.