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Meg Stuart beim Wiener ImPulsTanz: Dancing in the Rain auf Karton

Beim Wiener ImPulsTanz-Fest zeigte sich tänzerische Zertsörung.
Beim Wiener ImPulsTanz-Fest zeigte sich tänzerische Zertsörung. ©Laura Van Severen
Regen, Karton und Tanz - die drei Hauptbestandteile der Meg-Stuart-Choreografie bei Wiener ImPulsTanz sind gleichzeitig schrecklich wie auch faszinierend.

Vor zehn Jahren schuf die US-Choreografin Meg Stuart “Blessed”, ein Solo für Francisco Camacho als minimalistische Dystopie, so schlicht wie stark. Seit gestern ist sie als “Classic” bei ImPulsTanz in der Halle G zurück: Es ist der Tanz des Regens auf dem Karton, der Tanz des Kartons im unerbittlichen Erweichen, der Tanz eines Jedermann mit dem Verlust. Nicht mit dem Tod, wie ihn der Jedermann derzeit in Salzburg vollführt, aber mit dem Aufgeben, dem Loslassenmüssen dessen, was ihm lieb und teuer und sinnstiftend ist.

Inspieriert durch Hurrikan Katrina

Meg Stuart erlebte es 2005, als ihre Heimatstadt New Orleans vom Hurrikan Katrina heimgesucht wurde und sämtliche Versuche scheiterten, ihm etwas Rettendes entgegenzusetzen. Kurz darauf hielt ihr die Bühnenbildnerin Doris Dziersk ein Modell unter die Nase mit einem absurd einfachen Konzept. Eine Hütte, eine Palme, ein großer Schwan, sämtlich aus Karton. Und Regen, viel, lange, wiederkehrend in Variationen von Stärke und Dichtheit – eine meditative Materialchoreografie über die bezwingende, schockierende Ästhetik der graduellen Zerstörung.

Francisco Camacho und sein ebenso eindringliches wie zurückhaltendes Tanzen, ein Beobachten, ein Fertigwerden, ein existenzielles Vernichtetsein und ein absurdes, grelles Wiederaufraffen ist ebenso entmenschlicht wie urmenschlich, eine innige Projektionsfläche, auf der nicht nur das Schicksal eines Einzelnen verhandelt wird, der sein eigenes kleines Paradies unter der Naturgewalt hinschmelzen sieht, sondern gleichsam eine öko-philosophische Sicht auf den Menschen und seinen durch kontinuierliche Zerstörung unumkehrbar veränderten Planeten. Der gekrümmt sein Haus Flickende, dem gegen einstürzenden Karton nur bereits eingestürzter Karton als Schutz bleibt, wird zur schmerzhaften Allegorie einer Gesellschaft, deren Kampf mit, für und gegen den Klimawandel in den zehn Jahren seit Entstehen des Stücks vor allem fatalistischer geworden ist.

Man kann nicht wegsehen

Zum Zuschauen ist das nicht unbedingt angenehm und doch kann man nicht den Blick wenden vom Regen, vom Einknicken des Kartons und des Menschen, wie hypnotisiert von den prasselnden Geräuschen, dem gedimmten Licht und dem großartigen minimalistisch-dramatischen Score von Hahn Rowe. Wie viele gute, schlichte Ideen verliert auch diese im Abspann etwas von ihrer Spannkraft und verharrt zu lange in dem ästhetischen Szenario, das sie geschaffen hat. In diesem Fall: im Papiermatsch. In den großen Schlussapplaus ist darum auch schon etwas Erschöpfung gemischt, hat man sich an Francisco Camachos trübem Blick schon etwas mit existenzieller Resignation angesteckt.

Meg Stuart (53) ist beim heurigen ImPulsTanz intensiv vertreten, bisher zeigte sie bereits zwei Uraufführungen, von denen eine in einem Research Project im Arsenal erarbeitet wurde. “Blessed” ist als “Classic” programmiert – zusätzlich zur geplanten Reprise am Freitag wurde für heute, Donnerstag, Abend eine Zusatzvorstellung anberaumt.

(APA/red)

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