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Medienexperten warnen vor "Staats- und Regierungsfunk ORF"

ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz bei den "Medientagen 2009"
ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz bei den "Medientagen 2009" ©APA
Die Bundesregierung versuche "unter dem Vorwand notwendiger EU-Regelungen den ORF zu einem Staats- und Regierungsrundfunk zu machen, wie er nicht einmal mehr in den postkommunistischen Staaten denkbar ist", meint der Kommunikationswissenschafter und Sprecher der Aktion "Rettet den ORF", Wolfang Langenbucher, am Mittwoch in einem Statement.

Mit der Einrichtung einer staatlichen Regulierungsbehörde, die alle ORF-Bereiche vom Programm bis zur Finanzierung umfassen soll, werde dem ORF endgültig die vom Rundfunkgesetz zumindest formell attestierte politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit genommen. “Sogar die an sich selbstverständliche Abgeltung staatlich verordneter Gebührenbefreiungen wird zeitlich limitiert, um das Unternehmen auch in vier Jahren wieder finanziell unter Druck setzen zu können”, moniert Langenbucher. Heftige Kritik richtet der Medienexperte ans Bundeskanzleramt. Obwohl die Medienbehörde KommAustria unabhängig sein soll, sehen die Regierungspläne das Recht des Bundeskanzlers vor, sich über Gegenstände der Vollziehung der KommAustria zu informieren und alle einschlägigen Auskünfte zu verlangen, wodurch der Bundeskanzler Grundlagen für sein politisches Handeln gewinne.

Für Langenbucher stellt die geplante Reform des ORF-Gesetzes den “Verrat an allem dar, was die – bei allen Beschädigungen – einzigartige europäische Tradition des öffentlichen Rundfunks ausmacht: seine Unabhängigkeit”. Die “politische Unterwerfung” des ORF müsse um jeden Preis verhindert werden. “Rettet den ORF” fordert deshalb politische Unabhängigkeit, wirtschaftliche Unabhängigkeit und hohe Programmqualität für den ORF. “Der ORF gehört den Österreichern und nicht den Parteien oder der Regierung.”

Dass öffentlich-rechtliche Sender die Begehrlichkeiten der Politik wecken, bestätigt auch der der Hamburger Journalistik-Professor Siegfried Weischenberg im Gespräch mit der APA. “Parteien gehen davon aus, dass Medien Einfluss auf die Wähler haben und da sie bei den Printmedien meist keinen direkten Einfluss nehmen können, konzentrieren sie sich auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk”, so Weischenberg. Ein Problem sei vor allem die parteipolitische Besetzung der Aufsichtsorgane. Weischenberg plädiert deshalb für eine “deutliche Reduktion jener Posten, die direkt von Parteien besetzt werden”.

Die österreichische Situation kann der Medienexperte nur aus der Ferne beurteilen. Er sehe aber auch hierzulande eine “hohe Parteinähe der ORF-Führung und der Gremien”. Weischenberg: “Generell spricht nichts gegen eine gewisse Mitsprache von politischen Parteien beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk – aber das darf eben nur eine Facette sein. Es darf kein Monopol der Parteien geben.”

Besonders heikel werde es dann, wenn sich “die Begehrlichkeiten der Parteien tatsächlich auf die Personalpolitik und damit auf das Programm niederschlagen”, warnt Weischenberg. “Wenn Personen von Parteien an die Spitze eines Unternehmens gedrückt werden, führt das nicht nur zu einem Verlust an Professionalität und Glaubwürdigkeit. Man bekommt auch ein Problem anderen Mitarbeitern gegenüber, wenn das Parteibuch und nicht die Qualifikation über das Weiterkommen entscheidet.”

In Deutschland ist es der Fall des ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender, bei dem sich eine Partei mit fadenscheinigen Begründungen in die Personalpolitik eines Senders eingemischt hat, der “die Grundfesten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens erschüttert”, so Weischenberg. In Österreich sorgte in den vergangenen Wochen der kolportierte Abtausch von zusätzlichen ORF-Gebührengeldern gegen von der Politik gewünschte Personalentscheidungen für Kritik. Weischenberg appelliert generell an die Verantwortung der Zuseher. “Das Publikum zahlt die Gebühren und hat somit Anspruch auf einen unabhängigen Rundfunk”, den gelte es einzufordern.

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