Medee, in einer schwarzen Burka verhüllt bis auf die Augen, steht als Sinnbild des Fremden stumm auf der Bühne. Am Ende gab es Jubel vor allem für Iano Tamar in der Titelrolle, Regisseur Torsten Fischer, den Arnold Schoenberg Chor sowie Fabio Luisi und die Wiener Symphoniker. Restlos überzeugt hat diese “Medee” jedoch nicht, trotz einer geglückten Auseinandersetzung mit den brandaktuellen Themen der Fremdheit.
Ein Dutzend Männer mit Gewehr im Anschlag hält eine Frau in Schach – die trotzdem die Stärkere bleibt: Fischer bringt ein Spiel um die Angst vor der Weiblichkeit, um die Schwäche des kriegerischen Mannes und die Rolle der Frau (in einer zwar archaischen, gerade darin aber durchaus heutigen Gesellschaft) auf die Bühne. Und er kreiert auch eine Ambivalenz dort, wo die Wege des alten Mythos die Frau verdammen: Medee ist nicht herzlose Kindsmörderin, sondern wird zur Schuldigen gemacht – von der Gesellschaft, nach denselben Mechanismen, mit denen die Frauen dazu gebracht werden, ihren Körper zu verstecken.
Beim Kindsmord umschließen die Bürger Creons (starker Einspringer für den erkrankten Olaf Bär war Philippe Rouillon) die Szenerie, die Gewalt lauert nicht im Fremden, sondern in der Gesellschaft.
Musikalisch war (in der in Wien gewählten französischen Fassung) vieles glänzend. Man muss den Kopf zwar schon sehr tief im Opernsand versteckt haben, um Tamars Darbietung mit jener Legende zu vergleichen, die die Rolle so sehr geprägt hat: Natürlich darf man Tamar und Callas nicht gegeneinander abwiegen. Doch die – wie Medee übrigens auch – aus Georgien stammende Sängerin lieferte eine mehr als überzeugende und zu recht bejubelte Darbietung – emotional, stimmstark, darstellerisch top. Immer wieder (etwas gekünstelt wirkender) Applaus zwischendurch. Auch die Wiener Symphoniker fühlten sich in den musikalischen Welten Cherubinis sichtlich wohl, in den donnernden Gewalten ebenso wie in den brütenden Emotionen.
In der uniformierten Welt jenes ortslosen Reiches des 20. Jahrhunderts, in das die Handlung versetzt wird, wird die Fremdheit zur Hauptrolle, zur Chefsache hochgeschaukelt. Im Zentrum steht die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit, dass das Fremde Unheil bringt, barbarisch bleibt, auch wenn die Einheimischen sich selbst als mindestens ebenso gewalttätig zeigen. Umso brutaler daher die Gewalt, mit der sich der Mob gegen das Eindringende wehrt, jeden Anflug von Andersartigkeit gleich als Bedrohung sieht. Der angsteinflößende Schleier wird letztlich zum Instrument des Mordes an Dirce (gut: Henriette Bonde-Hansen) – viel sehr heutiger Bedeutungs-Spielraum für Fischers intelligente Aktualisierung in optisch ansprechendem, metallisch glänzendem Ambiente (Bühnenbild: Herbert Schäfer).
Doch ein letztes Quäntchen fehlt – das gut ausgeführte Eifersuchtsdrama zwischen Medee und Jason (solide: Zoran Todorovich) fügt sich nicht so recht in die erweiterte Interpretation, die Massen sind immer wieder zu allzu klischeehaften Gesten angehalten. Dennoch: Eine sehenswerte Produktion zum Weiterdenken.