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Mayan und Chantel: Speedklettern macht süchtig

Im Herbst 2012 unternahmen Mayan Smith-Gobat und Chantel Astorga einen Versuch einen neuen Speed-Rekord auf the "Nose" aufzustellen. Im Reisetagebuch werden die Hindernisse geschildert und warum Speedklettern süchtig macht.
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Herbst 2012, Mayan und ich befinden uns in etwa 60 m Höhe über dem Yosemite Valley in Kalifornien. In der Ferne sehen wir die knapp 740 Meter hohe Wand der legendären Yosemite Falls. Jetzt ist sie trocken und die Touristen sind alle weg. In ein paar Wochen fegen die Sierra-Stürme über das Hochland und bringen das Wasser wieder zum Fließen. Jetzt aber bringt nur ein sanfter Wind die Blätter zum Flüstern, mehr hören wir nicht. 

Fünf Minuten mit Mayan reichen, um zu merken, dass sie anders ist als alle, die man vorher ge- troffen hat. Sie redet wenig und ist so auf ihr Ziel fixiert, dass es kaum aussieht, als hätte sie Spaß. Aber am Fels strahlt sie von innen, während sie zu einem herunterlächelt. Mayans Karriere begann mit kleinen Felsen in Neuseeland und gelegentlichen Trips zum Mount Arapiles in Australien. Heute gehört sie zu den angesehens- ten Kletterinnen der Welt. Sie kletterte bereits bis 5.14b Sport und bezwang kürzlich als zweite Frau im freien Aufstieg die Salathé (VI 5.13b/c) am El Capitan. Auch kletterte sie in 14 Stunden die Variante „Free Rider“ über Salathé (VI 5.13a, etabliert, solo, Alex Huber, 1995) am „El Cap“ komplett frei.

Erste Doppelbegehung eines Frauenteams

Smith-Gobats Hartnäckigkeit, ihre Fähigkeit, sich eine schwierige Aufgabe auszusuchen und sie konsequent bis zum Ziel zu verfolgen, ist eine Inspiration für alle Kletterer. „Nach dem Durchstieg der Salathé war ich super-glücklich, aber irgendwie war es auch ein Verlust“, sagt Mayan, während sie auf der Veranda einer Bergrettungshütte hinter Camp 4 (dem Kletter-Campingplatz in Yosemite) ihr Regal aufräumt. „Ich fühlte mich eine Zeit lang etwas verloren, da ich kein großes Ziel mehr hatte. „El Cap“ frei zu klettern, war ein Lebensziel von mir, etwas, von dem ich schon immer träumte.” In ihrer vierten Saison im Yosemite Park kam sie, um auf „The Nose” der bekanntesten Route des El Capitans mit knapp über 900 Meter Höhe einen neuen Speed-Rekord zu setzen. Nach „The Nose“ werden Mayan und ihre Partnerin Chantel noch am selben Tag auch den Half Dome mit knapp über 600 m Höhe klettern. Das wird die erste Doppelbegehung eines Frauenteams sein.

Rekord auf “The Nose” als Ziel

Chantel Astorga, 27, war bis letzten Juni, zusammen mit Libby Sauter, Halterin des Rekords an „The Nose“ mit 10 Stunden und 40 Minuten. Dann brachen Jes Meiris und Quinn Brett den Rekord mit 10:19. Die Huber-Brüder hielten den Männerrekord einst bei 2:45.

Libby brach sich im Juni bei einem Abstieg in den Sierras das Bein. Obwohl sie nicht klettern kann, hilft sie bei der Logistik und Planung. Mayans Arme sind vom ständigen Klettern auf harten Routen gut definiert. Chantels Arme sind vom Gewichtheben in ihrer Hütte in Idaho mächtig. „Ich trainiere bei Sonnenuntergang in einem halb offenen Schuppen voller Schnee. Das ist mein Ding.”

Aussicht auf El Cap und Half Dome

Der Gipfel von El Cap erinnert an eine riesige Welle, so ähnlich wie „Jaws”, der berühmte Brecher auf Hawaii. Die Welle ist golden und mit schwarzen Flechten gesprenkelt. Gewölbte Risse und Felsrippen ragen über die Kante. Vom Gipfel sieht das Tal wie ein dunkelgrüner Teppich aus Bäumen aus. Auf dem Half Dome ragt mittig das sogenannte „Diving Board” über die breite Felswand hinaus. Von dort sieht man verschiedene Grautöne und in der Mitte der Wand Gelb und Weiß mit einer gebrochenen schwarzen Linie. In dieser schwarzen Linie kann man das Gesicht einer weinenden alten Frau erkennen.

Route, Training und Vorbereitung

Tag 1: 19. September, 3:37 Uhr – Es ist mitten in der Nacht und auf der Brücke bei El Cap herrscht Hochbetrieb. Mayan bittet mich in ihrem üblichen leisen Ton, still zu sein, damit sie sich voll auf ihre Aufgabe konzentrieren kann. Am Fuße der „Nose” angekommen, sehen wir vier Seile hängen, ein Zeichen, dass hier einige Teams im Aufstieg miteinander konkurrieren. 4:34 Uhr – Die Frauen sind schon im Fels. Von einem Team 120 m über uns hört man gelegentliches Husten. Von Mayan kommt nur ein Grunzen. Andere Teams zu überholen, ist schwierig und kostet Mayan und Chantel wichtige Zeit. In der mondlosen Nacht kann man Sterne und Stirnlampen kaum unterscheiden. John Dickey, der Fotograf, bezeichnet die Lichter als „El-Cap-Sternbilder”.

Nach einigen Stunden Marsch um die Ostseite von El Cap und dem Aufstieg an Fixseilen, erreichen wir das Dach von „The Nose“ und warten dort auf Mayan und Chantel. Am frühen Nachmittag höre ich unten leise Mayans Stimme: „Stand”. Minuten später erklimmt sie die Felskante, schafft aber auf dem Weg zum Baum, dem Endpunkt der Route, nicht mehr als ein paar Meter auf einmal. Ganze 15 Minuten lang schleppen sich die beiden die Dachkante von El Cap hoch. Von unten sagt Chantel: „Tut mir leid, ich hatte einen Krampf in den Händen.” Mayan ist barfuß, sichtlich durstig und von der Hitze ausgelaugt.

©John Dickey

Die Sonne brennt auf die goldenen Felsen. Kurz danach erreichen die beiden den Baum und Mayan blickt auf ihre Uhr. Es ist 14:29 Uhr, sie haben den Rekord um neun Minuten auf eine Zeit von 10:10 verbessert. „Yeah! Wir haben den Rekord!”, sagen sie gleichzeitig. „Es ist toll, dir beim Klettern zuzuschauen”, sagt Chantel. „Wenn wir früher anfangen und die Sonne vermeiden, können wir locker zwei Stunden sparen”, sagt Mayan. Während sie trinkt, erinnert sie sich an die fünf Teams, die sie überholen mussten. „Ich würde es gerne in acht Stunden schaffen und dann die Doppelbegehung machen.”

Speedklettern macht süchtig

Zurück in Curry Village frage ich die beiden am nächsten Tag, warum sie speedklettern. Sie lachen und sagen, dass es eigentlich völlig sinnlos sei. „Es macht süchtig, sich immer wieder über so große Wände zu bewegen”, sagt Mayan später. Hans Florine und Bill Wright schreiben in ihrem Buch „Speed Climbing”: „Es ist die Freude an uneingeschränkter Bewegungs- freiheit, wenn man dank eingesparter Ausrüstung schnell vorankommt.”

Morgen lesen Sie in unserem Outdoor-Special vom großen Tag der Nesteigeung von “The Nose”. Ob Chantel und Mayan einen neuen Rekord aufstellen?

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