Massengräber, mit Leichen übersäte Straßen und völlige Zerstörung - dramatische Berichte und Aufnahmen aus mittlerweile von der ukrainischen Armee zurückeroberten Gebieten bei Kiew haben international für Entsetzen gesorgt. EU-Ratspräsident Charles Michel zeigte sich am Sonntag "erschüttert" über Bilder aus dem Ort Butscha und sprach von "Gräueltaten" und einem "Massaker". Politiker und Organisationen weltweit warfen der russischen Armee Kriegsverbrechen vor.
410 Leichen in Orten rund um Kiew gefunden
Offenbar dürften auch in anderen Orten der Hauptstadtregion ähnliche Verbrechen begangen worden sein. Die ukrainische Generalstaatsanwältin Iryna Wenedyktowa sagte am Sonntag, dass 410 Leichen in Orten rund um Kiew gefunden worden seien. Es seien viele Verbrechen begangen worden über würden immer noch begangen.
Tote in Butscha: Russland spricht von "Provokation"
Russland stellte wenig überraschend die Verantwortung für die Tötungen in Abrede. Jegliches von der Ukraine veröffentlichte Bild- und Filmmaterial in diesem Zusammenhang stelle eine Provokation dar, meldete die Nachrichtenagentur RIA unter Berufung auf das Verteidigungsministerium in Moskau. Alle russischen Einheiten hätten Butscha am 30. März verlassen, meldete Interfax.
Fast 300 Leichen in der ukrainischen Stadt Butscha entdeckt
Die russische Armee hatte sich in den vergangenen Tagen aus der Region um Kiew zurückgezogen beziehungsweise war von der ukrainischen Armee vertrieben worden. In Butscha wurden danach laut Angaben der ukrainischen Behörden fast 300 Leichen gefunden. Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichteten, dass zahlreiche Toten zivile Kleidung getragen hätten. Sie sahen auf einer einzigen Straße in Butscha mindestens 20 Leichen liegen. Mindestens einem der Toten waren die Hände gefesselt.
"Sie haben sie mit einem Schuss in den Hinterkopf getötet"
"Alle diese Menschen wurden erschossen", sagte Bürgermeister Anatoly Fedoruk. "Sie haben sie mit einem Schuss in den Hinterkopf getötet." Es stünden Autos auf den Straßen, in denen "ganze Familien getötet wurden: Kinder, Frauen, Großmütter, Männer". Nach Angaben des Bürgermeisters mussten 280 Menschen in Butscha in Massengräbern beigesetzt werden, da die drei städtischen Friedhöfe noch in Reichweite des russischen Militärs lagen.
Russland werden Kriegsverbrechen in der Ukraine vorgeworfen
Die Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" (HRW) dokumentierte nach eigenen Angaben eine Reihe "offenkundiger Kriegsverbrechen" der russischen Truppen - neben Kiew seien diese auch in den Regionen Tschernihiw im Norden und in Charkiw im Osten des Landes verübt worden. Unter den nahe Kiew getöteten Zivilisten war auch der ukrainische Fotograf und Dokumentarfilmer Maksim Levin.
Entsetzen nach Bildern aus Butscha: Weitere Sanktionen gegen Russland gefordert
Entsetzt reagierten auch europäische Politiker. "Weitere EU-Sanktionen und Unterstützung sind auf dem Weg. Slava Ukrajini!", twitterte EU-Ratspräsident Michel. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell zeigte sich "schockiert". Alle Fälle müssten vor den Internationalen Gerichtshof gebracht werden. Der französische Präsident Emmanuel Macron bezeichnete die Bilder "mit Hunderten feige ermordeter Zivilisten auf Straßen" als "unerträglich". "Die russischen Behörden müssen sich für diese Verbrechen verantworten."
Das österreichische Außenministerium zeigte sich auf Twitter entsetzt. Es versprach zugleich eine Untersuchung aller begangenen Verbrechen durch die UNO-Untersuchungskommission. Die Verantwortlichen der Verbrechen würden dafür zur Rechenschaft gezogen. Es gab auch erste Reaktionen von Vertretern politischer Parteien. Sollten sich die Meldungen bewahrheiten, "müssten EU und die Weltgemeinschaft wesentlich deutlicher reagieren als bisher", schrieb etwa der Grüne Nationalratsabgeordnete Georg Bürstmayr auf Twitter. Der Wiener Landtagsabgeordnete Jörg Konrad (NEOS) bezeichnete die Bilder aus Butscha als "unerträglich". "Militärische Unterstützung und Sanktionen sind massiv auszuweiten", forderte er.
Deutsche Politiker plädierten für eine härtere Gangart gegenüber Russland. So brachte Verteidigungsministerin Lambrecht einen Gasstopp ins Spiel, verwies aber auf die dafür erforderlichen Abklärungen innerhalb der EU. Deutschland zählte bisher gemeinsam mit Österreich zu den Bremsern innerhalb der EU, was einen Verzicht auf russische Gaslieferungen betrifft. Dagegen gaben die baltischen Staaten am Sonntag bekannt, seit Monatsbeginn komplett auf russisches Gas zu verzichten.
(APA/Red)