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Martin Schläpfer startet Abschiedssaison vor Wien-Antritt

Mit Herbst 2020 wird Martin Schläpfer neuer Direktor am Wiener Staatsballett.
Mit Herbst 2020 wird Martin Schläpfer neuer Direktor am Wiener Staatsballett. ©APA/KEYSTONE/SALVATORE DI NOLFI
Mit Herbst 2020 kommt Martin Schläpfer als Direktor ans Wiener Staatsballett. Zuvor geht noch seine Abschiedssaison als Direktor des Ballett am Rhein über die Bühne.

22 neue Choreografien hat Martin Schläpfer in zehn Jahren als Direktor des Ballett am Rhein geschaffen. Die letzte davon zum Abschied: Gestern, Samstag, Abend, wurde in Düsseldorf "Cellokonzert" uraufgeführt - eine Kreation, die Schläpfer der von ihm aufgebauten und zu Weltruhm geführten Compagnie auf den Leib geschneidert hat. Mit Herbst 2020 wechselt er als Direktor ans Wiener Staatsballett.

Letzte Saison mit neuem eigenen Werk

In Düsseldorf und Duisburg - mit dem Bespielen zweier Häuser hat der künftige Ballettdirektor der Staats- und der Volksoper Erfahrung - hatte man Schläpfer unter einer Bedingung früher aus seinem erst kürzlich neu unterzeichneten Vertrag entlassen: Dass er in der verbleibenden Zeit nicht wie von ihm gewünscht als nur lose in den Betrieb eingebundener Chefchoreograf tätig ist, sondern wieder die volle Direktion übernimmt. In seiner Abschiedssaison ist er ohnehin intensiv dran: In jedem einzelnen Ballettprogramm der beiden Opernhäuser kommt auch eines seiner Werke zum Zug. Zum Auftakt ein letztes Mal ein neues.

"Cellokonzert" wurde am Samstag uraufgeführt

Eine Frau stemmt ihren Kopf gegen die Brust eines Mannes. Ein erschöpftes Standbild einer Konfrontation. Etwas später beginnt das Cello aus dem Orchestergraben zu wummern: Dmitri Schostakowitschs zweites Cellokonzert, 40 dunkle Minuten, der Solopart als Einzelgänger statt als Virtuose, vom Orchester ausgegrenzt, angeklagt und aufgepeitscht. Das Ballett am Rhein steht vollständig auf der Bühne, teilt sich in Gruppen und Paare, nimmt die Motive der Musik auf und sagt sie mit Flüsterpost weiter. Martin Schläpfers Bewegungssprache verweigert sich dem neoklassischen Deutungsmuster, sie ist zugleich kompromisslos intuitiv und doch von großer formaler Strenge. Er erzählt, aber er fabuliert nicht. Ein Eindruck von Beliebigkeit entsteht dann und wann - und verschwindet wieder, wenn sich ein Kreis doch noch schließt.

Schläpfers Arbeit am Rhein hat hier Tanzgeschichte geschrieben. Neben dem Tanzhaus NRW etablierte er an der Deutschen Oper am Rhein eine zweite Institution für Modernes und Zeitgenössisches, die auf seinen Wunsch von der Stadt ein eigenes Balletthaus erhielt, pflegt hier intensiv das Stückerbe nicht nur seines Freundes Hans van Manen, sondern auch anderer moderner Fixsterne wie Jiri Kylian, William Forsythe oder Martha Graham. Ihre beiden Stücke "Lamentation" und "Steps in the Street" bildeten am Samstag den umjubelten Prolog zu Schläpfers neuer Kreation.

Schläpfer wird nachhaltige Wende ans Wiener Staatsballett bringen

Im Dezember nimmt man Schläpfers "Schwanensee"-Neuinterpretation wieder auf und kommt damit im März zum Gastspiel ins Festspielhaus St. Pölten - eine Gelegenheit für das österreichische Publikum, sich mit der Arbeit des künftigen Tanzchefs vertraut zu machen. Und zu sehen: für das Schwanensee-erprobte Publikum werden Sehgewohnheiten auf den Kopf gestellt. Martin Schläpfer ist Zeitgenosse, als Choreograf wie als Dramaturg. Und er ist gleichzeitig einer, der klarmacht: Von der Trennung in Klassik und Moderne, in Tradition und Zeitgenossenschaft, hält er nicht viel. Für eine Compagnie wie das Wiener Staatsballett mit seiner starken traditionellen Ausrichtung wird das eine nachhaltige Wende bedeuten.

Am Ende des "Cellokonzert" teilt sich die Compagnie - die Gruppen verlassen die Bühne in verschiedene Richtungen, manche bleiben im Dunkelwerden stehen, andere gehen einzeln ab. So wird es tatsächlich sein, zum Ende der Spielzeit: Das Ballett am Rhein, das Martin Schläpfer aufgebaut hat, wird sich in dieser Form auflösen. Einige Tänzer bleiben unter seinem Nachfolger Demis Volpi, an die zehn Tänzer kommen mit Schläpfer nach Wien, wo er etwa ein Viertel der bestehenden, derzeit rund 100 Tänzerinnen und Tänzer umfassenden, Compagnie austauschen wird. Eine Personalie mit einem Dominoeffekt des Abschieds. Großer Jubel zum Schluss.

(APA/Red)

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