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Mafia-Kronzeuge in Wien: "Die Mafia weiß, wo ich wohne"

Mafia-Kronzeuge Giuseppe di Bella lebt in Angst vor der 'Ndrangheta.
Mafia-Kronzeuge Giuseppe di Bella lebt in Angst vor der 'Ndrangheta. ©APA
Am Mittwoch präsentierte Gianluigi Nuzzi sein neuestes Buch "Metastasen" in Wien. Es entstand aus der Zusammenarbeit mit dem Mafia-Kronzeugen Giuseppe di Bella, der ebenfalls Rede und Antwort stand.
Mafia-Kronzeuge Giuseppe di Bella in Wien

Bei Gianluigi Nuzzi, Autor des Sachbestsellers “Vatikan AG”, meldete sich mit Giuseppe di Bella ein Mitarbeiter des ‘Ndrangheta-Bosses Franco Coco Trovato. Daraus ist das nun vorliegende, im Ecowin-Verlag erschienene Buch “Metastasen. Ein Kronzeuge der ‘Ndrangheta enthüllt die Geheimnisse des größten Familienunternehmens der Welt” entstanden.

Giuseppe di Bella, Ex-Mitglied der kalabresischen Mafia-Organisation ‘Ndrangheta, ist sich der Gefahr für seine Person durchaus bewusst: “Wenn ich einen meiner früheren Kollegen treffe, hängt es davon ab, wen. Wenn es ein Aktionsmann ist und der hat Kokain genommen – da nehmen ja viele ziemlich viel Kokain -, kann es schon sein, dass er sich rächt”, sagte er am Mittwoch in Wien. Dennoch, so glaubt Di Bella, ohne Anweisung von den Bossen würde ein Anschlag auf ihn nicht durchgeführt werden. “Die ‘Ndrangheta weiß sogar, wo ich wohne”, meinte er.

Ex-Mafioso sprach mit Justiz und Journalisten

Rache könnte der ‘Ndrangheta durchaus in den Sinn kommen, denn Di Bella hat ausgepackt, zum zweiten Mal. Nach seinen Angaben als Kronzeuge der Justiz hat er nun mit dem Journalisten Gianluigi Nuzzi gesprochen. Das Ergebnis ist in dem im Ecowin-Verlag erschienenen Buch “Metastasen” nachzulesen. Beide standen anlässlich der Vorstellung des Werks Rede und Antwort. Di Bella war rechte Hand des Paten Franco Coco Trovato, der die Interessen des kalabresischen Clans De Stefano in Norditalien, vor allem in der Lombardei, vertrat.

“2002 begann ich mit der Justiz zu sprechen”, erzählte Di Bella. Seine Frau habe ihn dahingehend beeinflusst. Dann wurde er verhaftet, und er habe sein Gewissen erleichtern wollen. “Mein Anwalt sagte mir, als ich Kronzeuge war, dass es jetzt genug ist. Ich wollte aber die ganze Geschichte erzählen.” Dass er auf Nuzzi – Autor des Sachbestsellers “Vatikan AG” – traf, war beinahe Zufall: “Ich habe die Zeitung angerufen und wurde verbunden.” Langsam habe sich dann ein Vertrauensverhältnis aufgebaut.

Di Bellas Glaubwürdigkeit überprüft

Für das Buch mussten Di Bella, Nuzzi und Co-Autor Claudio Antonelli einander nicht lange überzeugen. “Di Bella ist den Weg gegangen, dass er seinen Mut, sein Vertrauen in uns, seine Verfügbarkeit und seine Bereitschaft, sein Leben zu gefährden, in die Waagschale geworfen hat”, sagte Nuzzi. “Wir sind einen anderen Weg gegangen. Wir haben natürlich seine Glaubwürdigkeit überprüft.” Man habe sich die Prozesse angesehen, in denen Di Bellas Angaben als sehr glaubwürdig eingestuft wurden. “Er hat sich selbst beschuldigt. Er hat Informationen zu Morden geliefert, die bisher nicht geklärt sind.”

Ein weiteres wichtiges Element in der Glaubwürdigkeit Giuseppe di Bellas ist seine Übereinstimmung mit den Aussagen eines weiteren wichtigen Kronzeugen, Filippo Barecca. Bei ihm handelt es sich um einen von lediglich zwei Bossen der ‘Ndrangheta, die jemals mit der Justiz zusammenarbeiteten. Barecca war engster Mitarbeiter von Paolo de Stefano, dem Vorgesetzten von Di Bellas Boss Coco Trovato in Kalabrien. “Die Aussagen decken sich. Dabei sind Barecca und Di Bella niemals zusammengetroffen”, so Nuzzi.

Brutalste Mafia-Organisation

Überhaupt sind ‘Ndranghetisti im Vergleich zu den Mitgliedern der Schwesterorganisationen Cosa Nostra auf Sizilien und Camorra in Neapel mit Kampanien kaum bereit, als “Reuige” (“Pentiti”) mit der Justiz zusammenzuarbeiten. “Weil die ‘Ndrangheta eine der brutalsten Organisationen ist und sehr darauf achtet, wie sie ihre Leute auswählt”, erklärte Giuseppe di Bella. “Die Bevölkerung Kalabriens ist sehr verschlossen und reserviert. Die Menschen aus Kalabrien sind wesentlich weniger kommunikativ. Außerdem sind in der ‘Ndrangheta alle verwandt. Wenn jemand ein Reuiger wird, müsste er auch einen Verwandten hintergehen. Sie heiraten sogar unter Cousins ersten Grades”, ergänzte Nuzzi.

Der Buchautor erzählte die Geschichte von Careri, einem kalabresischen Dorf mit der italienweit höchsten Mafiosidichte. Von den 2.500 Einwohnern sind 600 bis 700 der ‘Ndrangheta zuzurechnen. “Das Dorf rühmte sich, dass es niemals einen Reuigen hervorgebracht hatte. Dann gab es einen: Nachdem er sich entschlossen hatte, mit der Justiz zusammenzuarbeiten, trugen alle Verwandten schwarz. Als man die Frau des Pentito fragte, warum sie schwarz trage, ihr Mann sei ja gar nicht tot, sagte sie: ‘Ich habe keinen Mann mehr.’ Sie hat sogar eine halbe Seite in einer Zeitung gekauft, um eine Todesanzeige zu schalten.”

Sechsfach-Mord in Duisburg

Nuzzi kritisierte, dass man auch in Italien noch immer viel zu wenig über die ‘Ndrangheta weiß. “Sie setzt sich nicht mit Geld, sondern durch ihre Mentalität durch. Sie sägt an den grundsätzlichen Staatsprinzipien. Das Ziel des Buches war daher auch, die Mentalität der ‘Ndrangheta zu erklären, in den Tunnel einzutauchen und wieder herauszukommen.”

Spektakuläre Bluttaten wie der Sechsfach-Mord in Duisburg 2007 sind laut Nuzzi aus Sicht der Verbrecherorganisation “Fehler”: “Man hat bezahlt dafür. Die ‘Ndrangheta versucht danach, wieder unterzutauchen, unsichtbar zu werden, indem sie sich versteckt.” Und das, wie es scheint, mit Erfolg. Das Problembewusstsein für das sich immer weiter ausbreitende Netzwerk der kalabresischen Mafia auch in Mitteleuropa ist nach Meinung Nuzzis “bei Null”.

Mafia-Problem nicht an den Wurzeln gepackt

Auch die von der italienischen Justiz häufig verkündeten Erfolge gegen die ‘Ndrangheta und die anderen Mafia-Organisationen packen das Problem offenbar nicht an den Wurzeln. So sieht es zumindest Di Bella: “Die ‘Ndrangheta sieht die Erfolge der Justiz nicht als Erfolg. Wenn die Justiz 1.000 festnimmt, heißt das nur, dass die ‘Ndrangheta 2.000 neu aufnimmt.”

Gianluigi Nuzzi, Claudio Antonelli: “Metastasen. Ein Kronzeuge der ‘Ndrangheta enthüllt die Geheimnisse des größten Familienunternehmens der Welt”

Ecowin-Verlag 2011, Salzburg

280 Seiten, 21,90 Euro

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