Die Briten gelten als ordentliche Menschen, die sich brav in jede Schlange einreihen. Ihre Polizei ist weltberühmt. Doch alle Ordnungsliebe konnte nicht verhindern, dass in der Londoner Innenstadt während der täglichen „Rush-Hour“ das Verkehrschaos ausbricht. Ken Livingston, Bürgermeister der Metropole mit über sieben Millionen Einwohnern, will den endgültigen Kollaps nun mit Hilfe einer Anti-Stau-Gebühr abwenden.
Ab Montag (17. Februar) müssen Autofahrer fünf Pfund (7,53 Euro) pro Tag zahlen, wenn sie im Londoner Zentrum unterwegs sind. Nur wenige Städte weltweit, darunter Singapur, erproben derzeit ein ähnliches Experiment.
„Ohne die Gebühr werden wir spätestens 2007 Verhältnisse wie in Bangkok haben“, meint David Begg, Vorsitzender einer Regierungskommission für Integrierten Transport. In Teilen der Innenstadt werde nur noch eine Durchschnittsgeschwindigkeit von fünf Kilometern pro Stunde erreicht. Die Anti-Stau-Gebühr soll die Verstopfung um zehn bis 15 Prozent verringern und im ersten Jahr 121 Millionen Pfund (183 Mill. Euro) in die Stadtkasse spülen, die dann in den öffentlichen Nahverkehr investiert werden. Bereits ab dem Start am Montag kommen zusätzliche Busse mit 11.000 Plätzen zum Einsatz.
Die Gebühr gilt für ein 20 Quadratkilometer großes Gebiet nördlich und südlich der Themse, vom Hyde Park im Westen bis zur Tower Bridge im Osten. Fährt ein Auto werktags in der Zeit von 7.00 Uhr bis 18.30 Uhr in diese Zone, wird das Nummernschild von einer Kamera erfasst. Spätestens bis 22.00 Uhr muss die Gebühr bezahlt werden – an Kiosken, Tankstellen, im Internet oder sogar per Kurznachricht vom Handy aus. Bereits zwei Stunden später wird für säumige Autofahrer eine Strafgebühr von mindestens 40 Pfund (60,5 Euro) fällig. In Singapur und einigen norwegischen Städten gibt es ähnliche Gebührenzonen, allerdings in kleinerem Stil.
Ausgenommen sind Motor- und Fahrräder, Taxis, Polizei- und Rettungsfahrzeuge sowie schadstoffarme Autos. Die Bewohner der Zone erhalten einen Rabatt von 90 Prozent. Wohl oder übel zahlen muss die Kriminalpolizei von Scotland Yard, wenn sie die Nummern ihrer Geheimfahrzeuge nicht preisgeben will. Eine Untersuchung schätzt diese zusätzliche Kosten für den Steuerzahler auf 400.000 Pfund (604.778 Euro) im Jahr.
Touristen sollen der Abgabe ebenfalls nicht entkommen:
Bürgermeister Livingston unterzeichnete dazu einen Vertrag mit einer Agentur, die in 21 Ländern die Schulden eintreiben will. Mit zwei Ausnahmen: Deutsche und dänische Nummernschilder lassen sich nicht zurückverfolgen.
Noch ist völlig unklar, ob die Anti-Stau-Gebühr ein Erfolg wird. Die Überwachung mit mehr als 200 festen und weiteren mobilen Kameras innerhalb der Zone gilt im Vergleich zu anderen Technologien als unzuverlässig. Gegner der Gebühr kündigten schon an, ihre Nummernschilder mit Dreck unkenntlich zu machen – was natürlich verboten ist.
Die Front der Kritiker reicht von den Schlachtern des berühmten Smithfield-Marktes, die wegen der hohen Kosten um ihre Existenz fürchten, bis hin zu Prinz Edward. Der jüngste Sohn der Queen wohnt außerhalb in der Grafschaft Surrey und ärgert sich darüber, dass er bei einer Einkaufsfahrt in die Innenstadt im Gegensatz zu seinen Verwandten im Buckingham Palace keine Ermäßigung erhält.