Lieferando stellt auf freie Dienstverträge um: 600 Kündigungen

Nachdem monatelang um einen KV für Fahrradboten gekämpft worden ist, wird dieser nun zur Makulatur. Denn Lieferando - neben Foodora der Platzhirsch im einspurigen Essenszustellgeschäft - kündigt hunderte Fahrerinnen und Fahrer und stellt die Logistik auf freie Dienstverträge um, bestätigte das Unternehmen auf APA-Anfrage einen "Standard"-Bericht. Österreichweit sind insgesamt etwa 2.000 von 5.000 sogenannten Ridern angestellt unterwegs, der Rest als freie Dienstnehmer.
"Das Logistikmodell von Lieferando Österreich wird an den österreichischen Branchenstandard angeglichen", so Lieferando-Sprecherin Katrin Wala am Dienstag auf Anfrage der APA. Dies erfolge nach einer "sorgfältigen Evaluierung". "Künftig werden wir daher mit freien Dienstnehmerinnen und Dienstnehmern zusammenarbeiten."
Anders als Foodora und Wolt stellte Lieferando seine Boten in Österreich bisher meist an. Weiterhin wolle man den Fahrerinnen und Fahrern faire und attraktive Rahmenbedingungen gewähren, so Lieferando. Der Kollektivvertrag war umstritten und zählt nicht zu den lukrativen in Österreich. Trotzdem bietet er bezahlten Urlaub, Weihnachtsgeld, Zuschläge für Sonntagsarbeit und Entlohnung auch im Krankheitsfall.
Lieferando wechselt von Anstellungen zu freien Dienstverträgen: 600 Kündigungen
Laut "Standard" geht es unter Berufung auf den Betriebsrat um 966 betroffene Arbeitnehmende. Lieferando teilte auf Anfrage mit: "Aktuell besteht unsere Lieferflotte aus rund 850 Fahrerinnen und Fahrern. Mit der Beendigung unseres Angestellten-Modells werden wir, unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten, rund 600 Fahrerinnen und Fahrer entlassen müssen", so Wala. "Betroffen sind außerdem weitere rund 65 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an unseren Standorten in Wien und den Bundesländern."
Kein Rückzug vom Austro-Markt
Einen Rückzug aus Österreich bedeutet der neueste Schritt laut Lieferando nicht. "Wir investieren weiter in den österreichischen Markt." Allerdings nicht mehr in Fahrer, die dem Kollektivvertrag unterliegen. Es gehe um die Wettbewerbsbedingungen. Man habe über Jahre versucht, Benchmarks für die Branche zu setzen, doch kein Mitbewerber sei diesen gefolgt. Das habe zu wesentlichen Wettbewerbsnachteilen geführt.
Auf die Frage, wieso man so lange einen KV verhandelt habe, um dann doch auf freie Fahrerinnen und Fahrer zu setzen, antwortete Foodora, dass man das Festanstellungsmodell über Jahre unterstützt ja sogar dafür investiert habe. Auch sei man vorigen Herbst - es gab mehrere Streiks von Radelnden - den KV-Forderungen der Gewerkschaft entgegengekommen. Doch vergleichbare Beschäftigungsmodelle für alle Markteilnehmenden, für die man plädiert habe, seien nicht gekommen.
"Lieferando steigt als letzter großer Anbieter von Essenslieferungen und Fahrradkurierdiensten aus der durch die Gewerkschaften erkämpften Lösung mit kollektivvertraglich angestellten Fahrer:innen aus. Stattdessen setzt Lieferando nun auf sogenannte 'Freie Dienstnehmer' - das ist ein Armutszeugnis.
"Diese 'Freien Dienstnehmer' sind keineswegs wirklich frei - in diesem Modell werden die Nachteile der Selbstständigkeit mit den Nachteilen der Plattform-Abhängigkeit kombiniert und den Arbeiter:innen aufgezwungen", kritisierte der Verkehrssprecher der Grünen, Lukas Hammer, Dienstagnachmittag in einer Stellungnahme. "Wenn ein Anbieter, der eigentlich fairer arbeitet, auf diesem chaotischen Markt nicht bestehen kann, zeigt das, dass es dringend notwendig ist, die aktuellen Regeln in diesem Bereich zu überdenken, auch für den Paket- und Kleintransportmarkt", betonte Hammer.
Die neue Regierung müsse ihre ersten Anzeichen im Regierungsprogramm schnell umsetzen "und das Thema 'Freie Dienstnehmer' anpacken, bevor es zu spät ist und die Fortschritte der letzten Jahre verlorengehen". Lokale Kleintransporte und Citylogistik "könnten eine beispielhafte Branche für klimafreundliche und moderne Gütermobilität werden".
"Wer keine Strategie hat, der bastelt an einer Strategie", reagierte FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker unzufrieden auf das Ergebnis der Klausur. Die Ankündigung, eine Industriestrategie zu erarbeiten, "wird unsere taumelnde Wirtschaft nicht retten, denn sie braucht sofort wirksame Maßnahmen." Scharfe Kritik kam auch von der wirtschaftsliberalen Denkfabrik Agenda Austria: "Diese Klausur ist der perfekte Beweis für Österreichs Politikstil: Viel reden, viele Überschriften, wenig umsetzen - und wenn, dann zu spät", so Ökonom Hanno Lorenz. Er bemängelte, dass es "keine Entlastung, sondern nur neue Steuern" gebe.
Es werde die Zahl der Scheinselbstständigen und freien Dienstnehmerinnen und Dienstnehmern drastisch steigen, warnte Markus Petritsch, Vorsitzender des Fachbereichs Straße der Gewerkschaft vida in einer Stellungnahme. Die Gewerkschaft poche seit Jahren auf die Abschaffung freier Dienstnehmerverhältnisse, die im wachsenden Plattformsektor stark verbreitet sind. Damit würden Risiken wie schlechte Auftragslagen, Krankheit oder andere Dienstverhinderungen auf die Beschäftigten abgewälzt.
(APA/Red)