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Lichtraum

"Ein klarer Raum und klare Markierung durch neue Glaselemente."
"Ein klarer Raum und klare Markierung durch neue Glaselemente." ©Darko Todorovic
Dornbirn - Da kam vom Himmel ein Brausen und erfüllte das ganze Haus und es erschienen Zungen wie von Feuer, die sich auf alle niederließen und sie mit Geist erfüllten.
Pfarrkirche St. Sebastian/Dornbirn

So etwa kennen wir die Geschichte der kommenden Feiertage – und wer die Kirche Sankt Sebastian betritt, kann sich das Brausen aus Feuer und Geist ausmalen in diesem Raum ohne Kanten, doch mit Schwüngen, mit Licht und Weiß. „Wie weiße Wolle, leuchtend weiß wie Schnee, wie Feuerflammen, wie Golderz, das im Schmelzofen glüht“, so begegnet Johannes seinem Gott, „und seine Stimme wie das Rauschen von Wassermassen.“

Seit Palmsonntag dieses Jahres erstrahlt das Gotteshaus nach anderthalbjähriger Renovierung in hellstem Licht. Das ist keine Übertreibung, wird damit doch nicht nur das neue Leuchten des vormals grauen und staubigen Raumes beschrieben, sondern viele Stufen der Erneuerung, die dieser Raum erlebt hat. 1826 in einer Zeit eifrigen Kirchenbaus errichtet, zeigt der Bau eine Umbruchzeit, in der barocke Vorbilder verbraucht waren und mit klassizistischer Sachlichkeit im Wettstreit lagen – nicht nur seine großen Thermenfenster haben in Negrellis Sulzberger Kirche einige Jahre später Nachfolger gefunden. Dennoch: der Innenraum war opulent ausgemalt und ausgestattet – vom Weiß edler Klassik weit entfernt. Diesem Raumeindruck kam man schrittweise näher, mit Renovierungen in den 20er- und 70er-Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts.

Die Bereinigung bedeutete nicht nur Entfernung. Die verbliebenen Ausstattungselemente gewannen, indem sie stärker herausgehoben wurden – etwa die neubarocken Apostelmedaillons oder die Reliefs der Kreuzwegstationen. Und: die Kirche erhielt neue Bilder, insbesondere die fünf großen Deckenbilder des jungen Hans Purin aus den Jahren 1928–30, die mit Anklängen an Jugendstil und neue Sachlichkeit für ihre Zeit stehen. Sie stellen den Namensgeber, den heiligen Sebastian und weitere frühchristliche Märtyrerinnen und Märtyrer dar und geben „Zeichen der mutigen Bekenntnistreue im Gegensatz zum Jammerbild der Menschenfurcht heutiger Tage“ – war das gar eine politische Botschaft? Im Bezug zum frühen Christentum knüpft die letzte Renovierung dort an.

Weitere Bereinigung sowie die Neuordnung des Altarbereichs in Folge des Zweiten Vatikanums Ende der 1970er-Jahre nähert den Raum ein weiteres mal seiner heutigen Gestalt an: weiße Hülle, helles Grau am Boden, entschiedene Akzente durch Bilder, Altäre und – Neugestaltung der liturgischen Orte. Jetzt enthüllt er seine klassische Reinheit – „ein klarer Raum, nur durch vier halbbogenförmige Fenster belichtet,“ so die Architekten Ernst Beneder und Anja Fischer, „in seiner Weite erinnert er an einen Zentralraum.“ Die Neugestaltung unterstützt dies, indem sie sie eigene Akzente setzt.

Zum einen: Die Ordnung des Altarbereichs mit klaren Proportionen und Material – wie hier anzutreffen. Eine angehobene Plattform aus Krastaler Marmor. Der Altartisch rückt ins Zentrum, wird Mittelpunkt des Gottesdienstes und definiert den Chorraum dahinter. Ein Raum für Werktagsgottesdienste, Andachten, Taufe ist so gewonnen – „eigenständig und doch Teil des Ganzen“, so die Architekten. Zum andern: Die liturgischen Orte, Altar, Ambo, Priestersitz, Taufbecken erhalten eine neue Gestalt, die sich entschieden vom Bestand absetzt und dennoch an die Licht und Wassermetapher anknüpft: rationale Volumen, gefügt aus gebrochenem Glas, mit Lichtquellen im Innern. Sieben Objekte insgesamt, die wiederum ein Geviert aus klaren Proportionen bilden.

Glas – Sinnbild des Lichts, der Transparenz, des göttlichen Anfangs. Als massives Material seegrün wie Wasser – Sinnbild der Quelle, auch der Reinigung. Gebrochen – Erinnerung daran, dass auf dieser Welt Heil und Leid aufeinander bezogen sind. Interpretation religiöser Gewissheiten in der abstrakten Material- Sprache unserer Zeit. Material, das wieder auftaucht im Raum der Gemeinde: Als Abdeckung der großen schrägen Brüstungen der Fenster – Lichtverstärker für das diffus einfallende Tageslicht, strukturiert wie eine von einer Böhe aufgewirbelte Wasserfläche. Und wer genau hinsieht, entdeckt in dieser Fläche den Fisch, Geheimzeichen der verfolgten frühchristlichen Gemeinde.

Erstaunlich, wie dieses „vergeistigte“ Material zusammenspielt mit dem dunklen Marmorimitat der drei Altäre. Eigenständig und doch in Beziehung, Kontrast – so wie die Altäre selbst im weißen Raum stehen – und Ausgewogenheit, Vereinigung von Verschiedenartigem, Gegensätzlichem zu einem geordneten Ganzen. „Harmonie, das könnte man schon sagen. Wir haben sehr viele positive Reaktionen bekommen. Die Kirche ist wärmer geworden“, so Pfarrer Ludescher, was ihn angesichts der Reinheit fast verwundert – und den Engeln auf den Altären ein wenig nachtrauern lässt. Spiritualität in Zeiten der Vernunft hat ihre Form: „Diese Kirche lebt vom Licht.“

Daten & Fakten

Objekt: Pfarrkirche St. Sebastian Kirchgasse, Oberdorfer Straße, 6850 Dornbirn
Bauherr: Pfarrkirche St. Sebstian, Liegenschaftsverwaltung KG, vertreten durch Pfarrer Mag. Werner Ludescher
Architektur: Arbeitsgemeinschaft DI Ernst Beneder, DI Dr. Anja Fischer; www.benederfischer.at
Wettbewerb: 2011
Planung: 2012
Bau: 2012–2013
Nutzfläche: 689,70 m2
Weitere Planer und Fachberater: DI Dr. Lothar Künz, Bauphysik, Hard, Ing. Peter Hämmerle, Elektroplanung, Lustenau Ing. Lothar Schlappack, Koller & Partner, Bregenz
Ausführende Firmen: Rümmele BaugmbH, Brunner Manfred Stukkateur & Verputz GmbH, Wilhelm + Mayer Bau GmbH, Netzer Wilfried, Vigl & Strolz GmbH, Höfle Naturstein- und Kunststeinwerk GmbH, Schelling Elektro GesmbH & Co KG, Engel Installationen GmbH, Claudio Bizzarri Konservierung und Restaurierung, Simeoni metallbau GmbH, Glasmalerei Stift Schlierbach GmbH&Co KG, Tischlerei Bickel, Erika Thümmel, Dipl. Restauratorin, Atelier Mayer, Nicolé Mayer, Burkhard Fessler GmbH

Leben & Wohnen – Immobilienbeilage der VN

Für den Inhalt verantwortlich:
vai Vorarlberger Architektur Institut
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Architektur vorORT 100
Das 100. Jubiläum der monatlichen Architekturführungsreihe des vai wird würdig begangen. Die in diesem Beitrag vorgestellte Pfarrkirche in Oberdorf wird Ort der Begehung sein. Die Architekten erläutern detailreich die Hintergründe des soeben fertig gestellten Werkes.
Freitag, 24. 5., 17 Uhr.
Info und Folder: ww.v-a-i.at

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