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Libyen: Todesurteil aufgehoben

Im Prozess um HIV-infizierte Kinder hat der Oberste Gerichtshof Libyens das Todesurteil gegen fünf bulgarische Krankenschwestern und einen palästinensischen Arzt aufgehoben.

Der Fall müsse neu verhandelt werden, hieß es am Sonntag in Tripolis. Der Mediziner und die Krankenschwestern waren beschuldigt worden, mehr als 400 libysche Kinder wissentlich mit dem Aids-Virus infiziert zu haben. Beobachter sahen in der Gerichtsentscheidung einen Versuch, den Konflikt zwischen Libyen und dem Westen wegen dieses Falls beizulegen.

Wie bulgarische und arabische Rundfunksender berichteten, wurde die Neuverhandlung vor einer „unteren Instanz“ mit Verfahrensmängeln begründet. Das Verfahren soll nun vor einem Strafgericht in Bengasi neu aufgerollt werden. Das bulgarische Außenministerium nannte die Entwicklung in einer ersten Reaktion „positiv“.

Der Arzt und die fünf Krankenschwestern arbeiteten an einer Klinik in der Stadt Bengasi, wo sie im Mai 2004 zum Tode durch Erschießen verurteilt wurden. Während des Prozesses nahmen die Angeklagten ursprüngliche Teilgeständnisse wieder zurück und erklärten, diese seien unter Folter aus ihnen herausgepresst worden. Menschenrechtsgruppen warfen Libyen vor, das Gerichtsverfahren inszeniert zu haben, um die schlechten hygienischen Verhältnisse in dem betroffenen Krankenhaus zu vertuschen. Mindestens 50 der infizierten Kinder sind inzwischen gestorben.

Der Oberste Gerichtshof folgte bei seiner Entscheidung offenbar den Foltervorwürfen der Angeklagten. Ihr Widerspruch gegen die bisherigen Urteile sei formal und inhaltlich angenommen worden, erklärte das Gericht. Sowohl Staatsanwaltschaft und Verteidigung seien überzeugt, dass es „Unregelmäßigkeiten“ bei der Festnahme und den Verhören der sechs gegeben habe. Die Angeklagten, die Anfang 1999 festgenommen wurden, nahmen an der Sitzung am Sonntag nicht teil. Ein Termin für den neuen Prozess stand zunächst nicht fest.

Bei den Familien der infizierten Kinder stieß die Entscheidung auf Empörung. Vor dem Gerichtsgebäude protestierten zahlreiche Menschen, viele hatten ihre Kinder mit. „Frohe Weihnachten, Krankenschwestern, aber was haben wir getan, dass Ihr uns infiziert?“, war auf einem Plakat zu lesen.

Libyen hatte von Bulgarien eine Entschädigung der Opfer gefordert. In der vergangenen Woche hatten Sofia und Tripolis die Einrichtung eines Hilfsfonds für die Betroffenen vereinbart. Bulgarien sowie die Europäische Union und die USA sagten ihre Unterstützung zum Aufbau des für aidskranke Kinder in Libyen zu. Das von Tripolis bereits angenommene Angebot sei Teil der Bemühungen, das Leben der bulgarischen Krankenschwestern und des palästinensischen Arztes zu retten, heiß es. Der bulgarische Präsident Georgi Parwanow sagte am Freitag vor Journalisten, die jüngsten Entwicklungen stimmten ihn optimistisch, dass das Verfahren „bald in einer für Bulgarien akzeptablen Form abgeschlossen wird“.

Parwanow begrüßt neuen Prozess gegen Bulgarinnen in Libyen

Der bulgarische Präsident Georgi Parwanow hat die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in Libyen, die umstrittenen Todesurteile gegen fünf Krankenschwestern aus Bulgarien und einen palästinensischen Arzt aufzuheben und den Fall neu zu verhandeln, begrüßt. Er hoffe, dass die Gerechtigkeit sich durchsetzen werde. „Wir hoffen, dass die schnelle und effiziente Arbeit des Gerichts in den vergangenen Tagen ein sehr baldiges Ende des Falles ermöglicht“, sagte der Präsident.

Der Sprecher des US-Außenministeriums, Justin Higgins, sprach von einer positiven Entscheidung. „Die internationale Gemeinschaft arbeitet mit Libyen an einer Gesamtlösung.“ Emma Udwin, außenpolitische Sprecherin der EU-Kommission, bezeichnete das Urteil als gute Nachricht.

Skeptisch reagierten hingegen Angehörige der Krankenschwestern. „Ich weiß nicht, was das Urteil bedeutet. Wie kann ich mich darüber freuen? Was ist der Unterschied – Todesurteile, lebenslängliche Haftstrafen oder andere Urteile, seit sieben Jahren sind unschuldige Menschen im Gefängnis“, sagte Zwetanka Siropoulu, die Schwägerin einer Krankenschwester.

Ein westlicher Diplomat in Libyen sagte, er rechne damit, dass die Krankenschwestern in ihre Heimat zurückkehren. Die libysche Regierung werde die Familien der Kinder überzeugen, den Krankenschwestern und dem Arzt zu vergeben. Daraufhin würden sie zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. „Dann wird die libysche Regierung bekannt geben, sie habe mit Bulgarien vereinbart, dass die Gefangenen ihre Strafen in der Heimat verbüßen und die Krankenschwestern werden Anfang nächsten Jahres heimfliegen“, sagte er.

Beide Länder hatten vergangene Woche einen Hilfsfonds für die Familien der HIV-infizierten Kinder vereinbart. Früher hatte die Regierung angedeutet, die Verurteilungen könnten aufgehoben werden, wenn die Familien finanziell entschädigt würden.

Das Gericht, das zuvor die Todesurteile ausgesprochen hatte, soll den Fall neu verhandeln. Der Termin für die Neuverhandlung werde noch festgesetzt, sagte ein Vertreter des obersten Gerichts. Er fügte an, in der Regel vergingen zwei Monate, bis ein Verfahren wieder aufgenommen werde. Den seit 1999 Inhaftierten wurde vorgeworfen, über 400 libysche Kinder in einer Klinik in der Hafenstadt Benghasi vorsätzlich mit dem HI-Virus infiziert zu haben.

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