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Libyen feiert Ende des Gaddafi-Regimes

Nach mehr als 40 Jahren feiert Libyen das Ende des Regimes von Muammar al-Gaddafi. In der Hauptstadt Tripolis bejubelten Tausende den Sieg der Aufständischen. In der Rebellenhochburg Benghazi (Bengasi) und anderen Städten wurden Feuerwerkskörper gezündet und Freudenschüsse abgefeuert.
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“Wir gratulieren dem libyschen Volk zum Sturz von Muammar al-Gaddafi und rufen das libysche Volk auf, auf die Straßen zu gehen und das öffentliche Eigentum zu beschützen. Lang lebe das freie Libyen”, heißt es in einer in der Früh verbreiteten Erklärung des Nationalen Übergangsrates der Rebellen, berichtete die “New York Times” auf ihrer Website.

Tripolis in Rebellen-Hand

Am frühen Montagmorgen war Tripolis nach Angaben der Rebellen bis auf wenige Widerstandsnester vollständig in der Hand der Regimegegner. Die Leibgarde von Gaddafi habe die Waffen niedergelegt, berichteten Sprecher der Aufständischen im Sender Al-Jazeera. Zwei Söhne Gaddafis wurden festgenommen, ein dritter unter Hausarrest gestellt. Über den Aufenthaltsort von Gaddafi selbst lagen zunächst keine Informationen vor. Ein Vertreter des Übergangsrates sagte, er “glaube nicht, dass Gaddafi noch in Tripolis” sei.

Am frühen Montagmorgen brachten die Rebellen auch den Grünen Platz im Herzen von Tripolis unter ihre Kontrolle. Fernsehsender zeigten Hunderte von Menschen, die auf dem Platz in der Nähe des Anwesens von Gaddafi feierten und Freudenschüsse abgaben. Andere schossen auf Riesenposter mit dem Konterfei von Gaddafi. Laut Al-Jazeera kündigten die Rebellen an, den Platz wieder in “Platz der Märtyrer” umzubenennen. Die Rebellen besetzten auch das staatliche Rundfunkgebäude.

Mindestens 1300 Tote in Tripolis

Viele Soldaten Gaddafis seien gefangen genommen worden, hieß es. Andere würden immer noch Widerstand leisten. Gaddafis Regierungssprecher Moussa Ibrahim sagte am Sonntagabend, in Tripolis habe es bei den Kämpfen mindestens 1300 Tote gegeben. Die Nachrichtenagentur Reuters zitierte einen libyschen Regierungsvertreter, der sagte, 376 Menschen seien bei den Auseinandersetzungen getötet worden und rund ein tausend verwundet.

Angesichts des bevorstehenden Endes des libyschen Regimes hat ein führender Vertreter des Nationalen Übergangsrats zur Zurückhaltung aufgerufen. Am Tag des Sieges appelliere er an das “Gewissen und Verantwortungsbewusstsein” aller Kämpfer gegen Gaddafi, sagte Mahmoud Jibril in einer in der Nacht zum Montag vom Fernsehsender der Rebellen übertragenen Ansprache.

US-Präsident Barack Obama sieht Libyen vor dem Wendepunkt. Tripolis entgleite dem “Griff eines Tyrannen”, das Regime zeige Anzeichen des Zusammenbruchs, erklärte Obama am Sonntagabend (Ortszeit) nach einer Mitteilung des Weißen Hauses in Washington. Der sicherste Weg, um das Blutvergießen zu beenden, sei einfach: Muammar al-Gaddafi und sein Regime müssen erkennen, dass ihre Herrschaft zu einem Ende gekommen ist.”Gaddafi müsse einsehen, dass er Libyen nicht länger kontrolliere. “Er muss ein für alle Mal die Macht aufgeben.”

In dieser historischen Zeit müsse der nationale Übergangsrat der Rebellen die notwendige Führungsstärke zeigen, um das Land durch die Phase des Übergangs zu steuern. Obama erklärte weiter: “Wir werden weiterhin mit unseren Alliierten und Partnern in der internationalen Gemeinschaft zusammenarbeiten, um das libysche Volk zu beschützen und einen friedlichen Übergang zur Demokratie zu unterstützen.”

“Zeit für ein neues Libyen”

Auch die NATO rechnet mit einem schnellen Ende des Regimes. “Heute können wir anfangen, eine neue Zukunft aufzubauen”, erklärte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in der Nacht zum Montag in Brüssel. “Das Gaddafi-Regime bröckelt eindeutig.” Rasmussen forderte Gaddafi und seine Truppen auf, die Macht niederzulegen. “Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, ein neues Libyen zu schaffen – einen Staat, der auf Frieden beruht, nicht auf Angst; Demokratie, nicht Diktatur; dem Willen aller, nicht den Launen weniger.”

Im Westen von Tripolis nahmen die Rebellen laut Al-Jazeera drei Söhne von Gaddafi gefangen, darunter den mit internationalem Haftbefehl gesuchten Saif al-Islam. Er sei gemeinsam mit seinem Bruder Al-Saadi in einem Touristendorf festgenommen worden, berichtete ein Sprecher der Aufständischen, Abu Bakr al-Tarbulsi. Der älteste Sohn, Mohammed al-Gaddafi, wurde in seinem Anwesen unter Hausarrest gestellt. Die Aufständischen würden für seine Sicherheit garantieren, sagte Mohammed al-Gaddafi in der Nacht zum Montag in einem Telefoninterview Al-Jazeera.

Gegen Gaddafi, seinen Sohn Saif al-Islam und seinen Schwager, den Geheimdienstchef Abdullah Senussi, liegen internationale Haftbefehle vor. Ihnen werden schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes (ICC bzw. IStGH), Luis Moreno-Ocampo, rief den libyschen Übergangsrat in Benghazi deshalb auf, Saif al-Islam nach Den Haag zu überstellen. Schon an diesem Montag wolle man darüber verhandeln, wie die Auslieferung ablaufen könnte, sagte er dem US-Sender CNN. Der Nationale Übergangsrat setzt aber offenbar darauf, die Verantwortlichen in Libyen vor Gericht zu stellen. Dazu habe Libyen das volle Recht, betonte frühere Botschafter des Landes in den USA, Ali Aujali, der inzwischen für den Übergangsrat spricht, im Sender Al-Jazeera.

Rebellen lehnen Verhandungen mit Gaddafi ab

Gaddafi selbst wandte sich am späten Sonntagabend zum dritten Mal an diesem Tag an seine Anhänger. In einer Audio-Botschaft beschwor er im Staatsfernsehen seine Gefolgsleute: “Ihr müsst auf die Straße gehen, um die Ratten und Verräter zu bekämpfen. Alle Stämme müssen nach Tripolis marschieren, um es zu beschützen. Wenn nicht, werdet Ihr Sklaven der Kolonialisten werden.”

Die libyschen Rebellen lehnten ein zuvor von Gaddafi gemachtes Angebot zu Verhandlungen ab. Die Aufständischen würden ihre Offensive erst dann beenden, wenn Gaddafi seinen Rücktritt erklärt habe, sagte der Chef des Nationalen Übergangsrats der Rebellen, Mustafa Abd al-Jalil, am Sonntag dem Sender Al-Arabiya. (APA)

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