AA

Libanon: Attentat auf Politiker

Einem Terroranschlag im Libanon fiel der christliche Politiker, Journalist und Zeitungsherausgeber Gebrane Tueni (48) zum Opfer. Portrait Gebrane Tueni | Chronologie des Terrors

Bei einem Terroranschlag ist am Montag im Libanon der prominente christliche Politiker und Journalist Gebrane Tueni (Tueini) (48) zusammen mit drei weiteren Personen ums Leben gekommen. Der Parlamentsabgeordnete und Herausgeber der Tageszeitung „An-Nahar“ war ein kompromissloser Kritiker der syrischen Libanon-Politik und einer der Anführer der „Zedern-Revolution“, die nach der Ermordung von Ex-Premier Rafik Hariri im Februar wesentlich zum syrischen Truppenabzug nach 29-jähriger Präsenz beigetragen hatte. Bei der Detonation eines am Straßenrand geparkten Autos mit etwa 100 Kilogramm Sprengstoff im Osten Beiruts, als Tuenis Wagen gerade vorbeifuhr, wurden mehr als zehn Menschen nach Angaben von Polizei und Ärzten zum Teil schwer verletzt.

Großsyrische Gruppierung bekennt sich zu Mord

Eine großsyrische Gruppe, die für den Anschluss des Libanon an Syrien eintritt, hat den Mord an dem libanesischen Parlamentsabgeordneten und Zeitungsherausgeber Gebrane Tueni am Montag für sich in Anspruch genommen. „Wir haben den Stift von Gebrane Tueni für immer zerbrochen“, hieß es in einer Erklärung der „Kämpfer für die Einheit und Freiheit von Al-Sham“ (arabisch für Großsyrien) in Anspielung auf die Kolumnen, in denen der christliche Politiker und Journalist regelmäßig Vorwürfe gegen die politische Führung in Damaskus und die herrschende Baath-Partei erhoben hatte.

Die sunnitische „Syrische Nationalsozialistische Partei“, die seit der französischen Mandatszeit zwischen den beiden Weltkriegen für ein „Großsyrien“ kämpft, verfügt nur über eine kleine Anhängerschaft im Libanon. Tueni, Herausgeber der in Syrien verbotenen Beiruter Tageszeitung „An-Nahar“, hatte zuletzt aus Angst vor Anschlägen in Frankreich gelebt, er war erst am Sonntag nach Beirut zurückgekehrt.In Damaskus hat das syrische Parlament am Montag den „terroristischen Akt“, der Tueni das Leben kostete, verurteilt, meldete die amtliche Nachrichtenagentur SANA.

Internationales Tribunal gefordert

Die libanesische Regierung hat die Einsetzung eines internationalen Tribunals gefordert, das die Verantwortlichen für die Morde an Hariri und weiteren Persönlichkeiten verurteilen soll. Informationsminister Ghazi Aridi erklärte im Fernsehen: „Wir werden den Kampf für die Freiheit fortsetzen, weil der Libanon die Heimat von Freiheit und Demokratie in dieser Region ist“. Um diese Werte zu stabilisieren, müssten Opfer gebracht werden. Der US-Botschafter in Beirut, Jeffrey Feltman, verurteilte den Anschlag als „barbarischen Akt“ und übergab Außenminister Faouzi Salloukh ein Memorandum, in dem es laut Medienberichten unter anderem hieß, die „hasserfüllten“ Mörder hätten dem Libanon einen mutigen Anwalt seiner Unabhängigkeit und Souveränität geraubt.

“Ausländische Einmischung”

Syrien hat „ausländische Einmischung“ für das „gegenwärtige Chaos“ im Libanon verantwortlich gemacht. In Anspielung auf die von dem deutschen UNO-Chefermittler Detlev Mehlis geleiteten Untersuchungen zum Hariri-Mord erklärte der syrische Informationsminister Mehdi Dakhlallah im libanesischen Fernsehen: „Dieses Attentat findet genau zum jetzigen Zeitpunkt statt, damit man Syrien beschuldigen kann.“ Das „destruktive Chaos“, das im Libanon herrsche, habe seinen Ursprung in der „ausländischen Einmischung“.

Seit dem Hariri-Attentat am 14. Februar wurde im Libanon eine ganze Serie von Bombenanschlägen verübt. Diese wurden in erster Linie syrischen Geheimdiensten zur Last gelegt, wie die Ermordung des Journalisten und Schriftstellers Samir Kassir, Kommentator von „An-Nahar“, und jene des ehemaligen libanesischen KP-Chefs Georges Haoui (Hawi). Der libanesische Drusenführer und Vorsitzende der Sozialistischen Fortschrittspartei (PSP), Walid Joumblatt, hat in einer ersten Reaktion Syrien beschuldigt, für die Ermordung Tuenis verantwortlich zu sein. Joumblatt, ein früherer politischer Verbündeter Syriens, äußerte sich kurz nach dem Terroranschlag gegenüber dem arabischen TV-Nachrichtensender „Al-Jazeera“. Der Mord an Tueni, sagte er, stehe in einem Zusammenhang mit dem Mehlis-Bericht, mit dem sich am morgigen Dienstag der UNO-Sicherheitsrat befassen wird.

Rücktrittsforderung an Lahoud

Tueni war ein kompromissloser Kritiker Syriens und hatte zuletzt wiederholt den pro-syrischen libanesischen Staatspräsidenten Emile Lahoud zum Rücktritt aufgefordert. Auch hatte er die Frage einer Entwaffnung der Schiiten-Miliz Hisbollah aufgeworfen. Bei den Parlamentswahlen im Frühsommer hatte er auf der multikonfessionellen Liste „Bewegung für die Zukunft“ von Hariris Sohn Saad kandidiert. Als Journalist hatte Tueni kontinuierlich die autoritären Regierungen in der arabischen Welt kritisiert und Meinungsfreiheit gefordert.

Tueni, der einer griechisch-orthodoxen Politiker- und Intellektuellendynastie entstammte, war mit einer Drusin verheiratet – die interkonfessionelle Ehe löste enormes Aufsehen aus, als sie geschlossen wurde. Schon als 18-Jähriger wurde er, wie Kathpress berichtet, hautnah mit den Schrecken des Bürgerkrieges konfrontiert. Palästinensische Guerilleros schossen ihm im zweiten Kriegsjahr – 1976 – in die Beine. 1977 wurde er von christlichen Milizionären gekidnappt und 36 Stunden gefangen gehalten. Politisch gehörte der junge Tueni zu den Anhängern von General Michel Aoun, der 1989/90 als Armee- und Regierungschef einen ersten, erfolglosen Versuch zur Vertreibung der syrischen Truppen unternommen hatte. Anschließend musste er drei Jahre nach Frankreich ins Exil gehen. Nach seiner Rückkehr unterstützte Tueni seinen Vater bei „An-Nahar“, 1999 übernahm er die Gesamtleitung des 1933 von seinem Großvater gegründeten Blattes.


Lahoud würdigt ermordeten Tueni als “Märtyrer”

Der libanesische Staatspräsident Emile Lahoud hat nach der Ermordung des Politikers und Journalisten Gebrane Tueni am Montag alle Libanesen zu „noch mehr Solidarität und Einheit“ aufgerufen. Er sei durch „das grauenhafte Verbrechen zutiefst verletzt“, betonte Lahoud in einem in Beirut veröffentlichten Kommuniqué. Den Toten, der Lahoud wiederholt als Befehlsempfänger Syriens kritisiert und zum Rücktritt aufgefordert hatte, würdigte der Präsident als „Märtyrer-Abgeordneten“, der nicht nur als Politiker, sondern auch als Medienschaffender eine hervorragende Rolle gespielt habe.

Tueni, ein „Symbol der Freiheit“, habe sich der „Karawane der Märtyrer“ angeschlossen, welcher Rafik Hariri voranschreite, der im Februar ermordete frühere Ministerpräsident, sagte Emile Lahoud. Der Libanon stehe heute an einer „gefährlichen Wegkreuzung“ angesichts der Verschwörungen gegen seine Einheit und Zukunft, warnte der Staatspräsident, der ebenso wie das Mordopfer Christ ist. Der EU-Außenpolitik-Beauftragte Javier Solana erklärte unterdessen in Brüssel, die Europäische Union wolle alles tun, um die libanesische Regierung in deren Bemühen zu unterstützen, den Attentaten auf Unabhängigkeitsverfechter ein Ende zu bereiten.

  • VIENNA.AT
  • Chronik
  • Libanon: Attentat auf Politiker
  • Kommentare
    Die Kommentarfunktion ist für diesen Artikel deaktiviert.