Libanesische Knäuel ist kaum noch zu entwirren
Die Kämpfe konzentrierten sich weiter auf das palästinensische Flüchtlingslager Nahr al-Bared nahe der Küstenstadt Tripoli, das von der islamistischen Gruppierung Fatah al-Islam kontrolliert wird. Durch Granatenangriffe der Armee wurden nach palästinensischen Angaben am Montag neun Zivilisten in dem Lager getötet, mehr als 70 weitere verletzt. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft äußerte sich sehr besorgt und rief dazu auf, eine weitere Eskalation zu vermeiden.
Die Kämpfe zwischen der Fatah al-Islam und der libanesischen Armee, die am Sonntag am Rande von Nahr al-Bared und in Tripoli einsetzten, waren die schwersten seit dem Ende des Bürgerkrieges im Libanon 1990. Nach Angaben vom Montag starben allein am Vortag 46 Menschen. Nach einer nächtlichen Ruhepause flammten am Montagmorgen neue Kämpfe zwischen den Islamisten und den rund um das Flüchtlingslager postierten Armee-Einheiten auf. Auch schwere Artillerie kam zum Einsatz. Die Soldaten drangen noch nicht in das selbst verwaltete palästinensische Flüchtlingslager ein. Ein Einmarsch stehe noch nicht auf der Tagesordnung, sagte Informationsminister Ghazi Aridi.
Für die rund 40.000 Flüchtlinge im Lager wurde die Lage immer dramatischer. Tote und Verwundete sind in den Straßen. Es gibt weder Wasser noch Elektrizität, sagte ein Arzt und Mitarbeiter des Palästinensischen Roten Halbmondes der Nachrichtenagentur AFP. Eine Granate sei in einer Moschee eingeschlagen, in der zahlreiche Zivilisten Unterschlupf gefunden hätten. Über Nahr al-Bared stiegen Rauchwolken auf. Augenzeugen berichteten, Hunderte von Soldaten mit Panzern hätten das Gebiet umstellt und mehrere Ziele in dem Lager unter Beschuss genommen. Über dem Lager stiegen Flammen und Rauch auf.
Zur Zahl der Opfer in dem Lager gab es zunächst keine offiziellen Informationen. Ein islamischer Geistlicher, Ahmed Methkal, sagte dem TV-Sender Al Jazeera, es seien fünf Zivilisten ums Leben gekommen. Wegen der Scharfschützen trauten sich die 30.000 Bewohner nicht mehr aus dem Haus: Sie zielen auf Gebäude, in denen sich Menschen aufhalten. Ein vom Sender als Menschenrechtsaktivist bezeichneter Mann, Mohammed Hanafi, sprach von 34 Toten, darunter 14 Zivilpersonen, und 150 Verletzten. Offiziellen Angaben zufolge kamen seit Sonntag etwa 50 Menschen, unter ihnen mindestens 27 Soldaten und 20 islamische Kämpfer, ums Leben.
Vor der Küste patrouillierten nach Angaben eines libanesischen Sicherheitsbeamten Marineschnellboote, die möglichen Nachschub für die Gruppierung Fatah al-Islam abfangen sollten. In Tripoli beruhigte sich die Lage, nachdem Sicherheitskräfte am Vortag einen Stützpunkt von Fatah-al-Islam-Anhängern in der Stadt gestürmt hatten. Während Geschäfte wieder öffneten, blieben Schulen und Universitäten geschlossen.
Die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO mit der Fatah-Bewegung um den palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas an der Spitze bot der libanesischen Armee Hilfe im Einsatz gegen die islamistische Splittergruppe an. Dabei müssten aber die zivilen Bewohner des Camps geschützt werden. Die Ausschaltung der Fatah al-Islam sei in allererster Linie ein libanesisches Problem, betonte der PLO-Repräsentant im Libanon, Abbas Siki. Mit ihren libanesischen, palästinensischen und arabischen Kämpfern sei die Fatah al-Islam ein in der palästinensischen Wirklichkeit fremdes Phänomen.
Der Libanon darf nicht in eine neue Spirale der Gewalt hineingezogen werden, sagte der Sprecher des deutschen Außenministeriums, Martin Jäger, in Berlin. Der Konflikt zeige, wie dringlich eine Entwaffnung der Milizen im Libanon sei, hieß es in der Erklärung der deutschen EU-Ratspräsidentschaft.
Bei den Kämpfen zwischen der libanesischen Armee und den Islamisten kam nach libanesischen Angaben auch der Bruder von einem der beiden mutmaßlichen Kofferbomber von Köln ums Leben. Saddam E.H. (Al Hajdib) gehöre zu den 17 Extremisten der Fatah al-Islam, die am Vortag von Sicherheitskräften getötet worden seien, sagte ein Polizeioffizier. Er sei der Bruder des in Deutschland inhaftierten Youssef Mohamad E.H. (Al Hajdib); er wird voraussichtlich im Juli oder August angeklagt. Beide Männer waren Teil einer Gruppe, welche die fehlgeschlagenen Anschläge auf zwei Regionalzüge in Deutschland im Juli vergangenen Jahres vorbereitet haben soll.
Die Polizei von Beirut machte Terroristen für einen Autobombenanschlag am Sonntagabend verantwortlich, bei dem in einem christlichen Viertel der libanesischen Hauptstadt eine 63-jährige Frau getötet und zehn weitere Menschen verletzt wurden. Es handelt sich um ein terroristisches Attentat, mit dem der Bevölkerung Angst gemacht und die Sicherheitslage im Libanon destabilisiert werden soll, sagte ein Polizeioffizier. Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur wurden elf weitere Menschen verletzt, als der Sprengsatz vor einem Einkaufszentrum nahe einer Kirche explodierte.