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Letzter Reifen besiegelt Ende

Die Werksuhr zeigte exakt 9.00 Uhr an, als sich die tonnenschweren Pressen der Vulkanisieranlage hoben und der offiziell letzte Semperit-Reifen zum Vorschein kam.

Danach rollte er am Förderband dampfend davon – das war’s. Mit diesem letzten symbolischen Akt verabschiedeten sich heute, Freitag, hunderte Semperit-Mitarbeiter nicht nur von einer über hundertjährigen Tradition, sondern auch von ihrem Arbeitsplatz. Nur ein kleiner Teil der ursprünglich 1.350 Beschäftigten verbleibt noch im Werk – für wie lange, ist ebenfalls noch ungewiss.

Den zahlreichen Medienvertretern bot sich in den riesigen Hallen ein gespenstischer Anblick. Wo einst mächtige Produktionsmaschinen standen, ragten nur noch einzelne Schrauben aus dem Boden. Von anderen Geräten blieben nur noch die farbigen Umrandungen übrig. Tränen gab es bei der Belegschaft kaum, zu lange wussten die Mitarbeiter schon von ihrem Schicksal. Da regierte schon eher Galgenhumor: „Do schau, a Reifn. Hob goa ned g’wusst, wie sowos ausschaut.“

Weniger zum Scherzen zu Mute war Arbeiterbetriebsrat Alfred Artmäuer: „Wir haben gekämpft, wir haben alles versucht, aber wir haben am Ende verloren. Dieser letzte Reifen ist versehen mit dem Schweigen der österreichischen Bundesregierung.“ Werksleiter Hans-Georg Hirschl bedankte sich anschließend für die Fairness seiner Kollegen, die selbst in der letzten Phase von Semperit „immer noch qualitativ hochwertige Ware herstellten“.

Der Abbau der Maschinen läuft schon seit Jänner dieses Jahres und wird noch weiter andauern. Das Inventar wird sich quer über den Erdball verteilen – von Indien über Südafrika bis nach Südamerika. Lediglich das Gummimischwerk soll noch bis 2005 in Traiskirchen bestehen bleiben. Garantie gibt es dafür jedoch keine.

Einige kleinere Utensilien – darunter auch der letzte Reifen – wird in Hinkunft im Stadtmuseum Traiskirchen zu sehen sein. Um das 300.000 Quadratmeter große Grundstück will Bürgermeister Fritz Knotzer (S) weiter kämpfen: „Ich werde im August in Hannover mit dem Conti-Vorstand über die weitere Vorgehensweise verhandeln“, bestätigte Knotzer der APA. Ein genauer Termin sei bereits fixiert. Bisher hat der deutsche Reifenkonzern noch nicht entschieden, ob das – ehemalige – Semperit-Werk verkauft werden soll oder in irgendeiner Form weiter bestehen wird.

„Wir haben hier modernste Infrastruktur, das kann man doch nicht alles brachliegen lassen“, gibt sich Knotzer weiterhin kämpferisch und appelliert an die Firmen in der Region, bei etwaigen Einstellungen „besonders ältere Semperit-Arbeiter zu bevorzugen“. Durch die Schließung des Traditionsunternehmens sind laut Knotzer noch etwa weitere 1.000 Arbeitsplätze in der Zulieferindustrie gefährdet. Dennoch ist der Traiskirchner Bürgermeister überzeugt, dass sich die Werkshallen „irgendwann wieder mit Leben füllen werden“.

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