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Leihoma sein in Wien: Eine begeisterte "Ersatz-Großmutter" erzählt

Leihoma Hildegard R. beim VIENNA.AT-Interview
Leihoma Hildegard R. beim VIENNA.AT-Interview ©VIENNA.AT/Lukas Krummholz
Kindergärtnerin war eigentlich der Traumberuf von Hildegard R. Doch ihre Eltern verwehrten ihr diesen Wunsch. Jetzt ist sie in Pension und hat mit ein paar Jahren Verspätung doch zur Kinderbetreuung gefunden: als Leihoma. Im Gespräch mit VIENNA.AT hat sie alles über ihre Berufung erzählt.
Gespräch mit der Leihoma

Ihren Lebensunterhalt verdiente Hildegard R., Jahrgang 1948, auf Wunsch der Eltern als Rezeptionistin in einem Büro – ein Job, den sie Zeit ihres Lebens mit Freude ausübte.

Leihoma: Von Anfang an ein Traumjob

Doch der Wunsch, mit Kindern zu arbeiten, blieb auch in der Pension bestehen, weshalb die Alleinlebende seit inzwischen sieben Jahren mit großer Freude als Leihoma tätig ist. Aktuell inseriert sie ihr Angebot wie zahlreiche andere Kinderbetreuer und Alltagshelfer auf  www.betreut.at

Bald begann sie bei der ersten Familie mit ihrer Tätigkeit, wo sie gleich einmal zweijährige Zwillinge zu betreuen hatte. Von Anfang an klappte das gut, was wohl nicht zuletzt auf die entspannte Einstellung der 65-Jährigen zurückzuführen ist. Sie drängt sich den Kindern nicht auf, sondern lässt diese “einfach machen”.

Entspannter Umgang mit Kindern

“Ich traue Kindern alles zu, ich lasse sie einfach sein, verstehe alles. Auch, weil ich mich selber sehr viel mit dem Dasein und mit dem Lebenssinn beschäftige. Ich möchte die Kinder nur positiv beeinflussen,” erklärt Hildegard R. Ihr Bestes zu geben, sich aber auch abzugrenzen, das sei wichtig.

Manche Mütter und Väter, für deren Kinder die Leihoma tätig ist, seien in der Erziehung sehr dominant und bestimmend. “Eltern machen vieles falsch”, so R., die zugibt, auch bei der Erziehung ihres eigenen Sohnes – heute 40 – noch nicht die Einstellung gehabt zu haben, die sie jetzt mit ihren “Leihenkerln” hat. “Man sieht aber natürlich beide Seiten.” Die Kinder würden sich ihr auch anvertrauen, wenn sie etwas belastet, so R.

Fremdeln – nur bei Eltern Thema

Dass Kinder sie einmal nicht akzeptiert hätten oder sie mit ihnen nicht warm wurde, sei noch nie vorgekommen. “Ich hab Glück gehabt – wirklich nur brave Kinder!” lacht R. Fremdeln habe sie noch nie erlebt – “wenn, dann eher bei den Eltern!” Lieblingskinder habe sie aber keine.

Wer bucht eigentlich eine Leihoma? Üblicherweise seien die Eltern, die mit Hildegard R. vorwiegend via E-Mail Kontakt aufnehmen, Mitte 30, die zu betreuenden Kinder von 9 Monaten bis 8 Jahre alt.

Wenn die Großeltern nicht greifbar sind

Eigene Großeltern seien in diesen Familien entweder nicht vorhanden, oder nicht greifbar, weil sie etwa in anderen Bundesländern wohnen. R. besuche die Familien in Wien oder Niederösterreich daheim, bespreche, was sich die Eltern vorstellen, wann etwa Schlafenszeit sei, und andere Regeln. In vielen Fällen erhielte sie auch rasch einen Schlüssel zur Wohnung. Vetrauen sei in ihrem Job ganz wichtig.

Entlohnt wird ihre Tätigkeit mit 8 bis 10 Euro pro Stunde – wobei die Leihoma sich auch danach richtet, wie knapp das Geld in der betreuten Familie ist. Ihre Tätigkeit wird von zwei Stunden bis zum ganzen Abend hin in Anspruch genommen – “auch bis um 1 oder 2 Uhr Früh, wenn die Eltern ausgehen wollen, was heutzutage viel öfter vorkommt als früher”, erzählt sie.

Akzeptanz statt Eifersucht bei Familien

Gefreut habe die Leihoma die breite Akzeptanz teils auch in der ganzen Familie. Sie sei auch schon zu Taufen oder Geburtstagsfeiern eingeladen worden, bei denen auch die richtigen Großeltern gewesen seien, und herzlich aufgenommen worden. Eifersucht habe es nicht gegeben. Auch nicht bei ihrem eigenen Enkelkind, einem 10-jährigen Buben, den sie familiär bedingt nicht allzu oft sehen kann.

Ganz selten kommt es vor, dass es mit dem Betreuungsverhältnis nicht klappt, erzählt R. Schuld daran seien aber nie die Kinder, sondern vielmehr die Eltern, die etwa überängstlich seien und nicht loslassen könnten.

Von Eltern, die nicht loslassen können

Sie berichtet von einer Frau mit einem kleinen Kind, die eigentlich eine Leihoma wollte, um immer wieder in Ruhe ein paar Wege erledigen oder sich mit Freundinnen treffen zu können. Die Realität sah anders aus: Die Mutter war doch immer dabei, wenn die Leihoma kam, ließ das Kind nicht aus den Augen, schaffte es nicht, die Wohnung zu verlassen. “Das habe ich dann abgebrochen, das hat nichts gebracht,” so R.

Auch sei es vorgekommen, dass einer der Väter, der selbst als Adoptivkind groß geworden war, mit ihrer “mütterlichen Art” ein Problem gehabt habe.

Die Aufgaben einer Leihoma

Wie Hildegard R. erklärt, habe sie sich auf die Betreuung der Kinder nur beim ersten Mal vorbereitet – dann jedoch rasch erkannt, dass das unnötig ist, weil Kinder ohnehin zeigen, worauf sie Lust haben.

Spazierengehen, Vorlesen, Spielen, je nach Alter auch Flascherlgeben, Wickeln und gemeinsam Essen gehören zu ihren Aufgaben – Baden aber nicht. Und auch für den Haushalt ist man in dieser Position nicht zuständig. Fernsehen verbiete sie nicht generell, sondern richte sich da nach den Vorgaben der Eltern – sie schaue aber auch sehr genau darauf, was die Kinder ansehen und dass es sich um altersgerechte Sendungen ohne Sex und Gewalt handle.

R. berichtet auch von einem Fall, wo sie gesehen habe, dass ein kleines Kind auf Papas iPad eine nackte Frau betrachtet habe – das seien dann Situationen, wo sie dazwischengeht und das Gespräch mit den Eltern sucht.

Priorität: Qualität bei der Betreuung

Aktuell betreut sie nur eine Handvoll Kinder – Qualität ist der Leihoma wichtiger als Quantität. Freude am Job bedeutet für sie, wenn die Kinder sich wohlfühlen. “Wenn sie von allein ins Bett wollen”, lacht die 65-Jährige und erzählt von einem Mädchen, das von sich aus die Leihoma aktiv an der Hand nimmt und sagt, dass es schlafen gehen möchte.

“Zeit mit den Kindern zu verbringen, das ist für mich das Schönste”, so die Leihoma – und man glaubt es ihr aufs Wort.

(DHE)

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