AA

Lehrermangel: Angst vor unbesetzten Klassen im Herbst

Der Lehrermangel könnte im Herbst zu unbesetzten Klassen führen.
Der Lehrermangel könnte im Herbst zu unbesetzten Klassen führen. ©APA (Sujet)
Angesichts des zunehmenden Personalmangels geht die Lehrergewerkschaft nicht davon aus, dass im kommenden Schuljahr alle stunden gehalten werden können.
Lehrer-Gewerkschaft fordert Maßnahmen

Die Lehrergewerkschaft geht wegen des zunehmenden Personalmangels nicht davon aus, dass im kommenden Schuljahr alle Stunden gehalten werden können. Die Aussage von Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP), wonach alle Unterrichtsstunden angeboten werden könnten, klingt für den obersten Lehrervertreter Paul Kimberger (FCG) aktuell "illusorisch". "Wir rechnen aus heutiger Sicht damit, dass wir Klassen im September gar nicht besetzen können", so Kimberger. Polaschek kalmierte.

Lehrermangel: Warnung vor unbesetzten Klassen im Herbst

Schon im vorigen Schuljahr habe man - regional sehr unterschiedlich - an manchen Schulen nur mit großem Aufwand und vielen Provisorien den Unterricht einigermaßen aufrechterhalten können. In Wien gab es im etwa über Monate Probleme, für alle Volksschulklassen fixes klassenführendes Personal zu finden. Dabei ist die Spitze des Lehrermangels laut Berechnungen der Gewerkschaft wegen der demografischen Entwicklung erst für 2027 zu erwarten. Gleichzeitig produziere das System in den Pflichtschulen durch die extreme Belastung des Lehrpersonals immer mehr Ausfälle, warnte Kimberger.

Forderungen nach Maßnahmen gegen den Personalmangel an Schulen

Wie stark der Personalmangel schlussendlich ausfallen wird, hänge davon ab, wie sich die Zahl der Lehramtsstudierenden und Quereinsteiger entwickelt, und welche Maßnahmen von Bildungsministerium und Ländern gesetzt werden, "um endlich wirksam und nachhaltig auf die extremen Situationen in unseren Schulen zu reagieren", so der Lehrervertreter. Schon Anfang Juli hat die Pflichtschullehrergewerkschaft der Bildungspolitik die Rute ins Fenster gestellt: Bei der letzten Bundesleitungssitzung wurde einstimmig eine Resolution mit Forderungen u.a. nach Maßnahmen gegen den Personalmangel, mehr Unterstützungspersonal, weniger Bürokratie und einem Stopp praxisuntauglicher Reformen beschlossen und mit Protestmaßnahmen bis zum Streik gedroht. "Wenn sich wirklich nichts tut, müssen wir uns entsprechende gewerkschaftliche Maßnahmen überlegen", erneuerte Kimberger nun seine Warnung. Die nächste Bundesleitungssitzung mit Gewerkschaftern aus ganz Österreich ist zu Schulbeginn angesetzt.

Bisherige Maßnahmen reichen laut Kimberger noch nicht

Die bisherigen Maßnahmen des Bildungsministeriums reichen Kimberger jedenfalls nicht. "Das sind sehr viele Ankündigungen, die an den Schulen bisher im Wesentlichen nicht die Wirksamkeit entfaltet haben, die wir uns erhoffen." Deshalb werde nun der Druck erhöht.

Schulen würden erdrückt von Verwaltungsaufgaben

So würden die Schulen immer noch erdrückt von Verwaltungsaufgaben. Die vom Ministerium mehrfach von den Bildungsdirektionen eingeforderte Entlastung sei bisher nicht an die Schulen weitergegeben worden, teilweise seien sogar neue Aufgaben dazugekommen. Kimberger verlangt deshalb für Herbst von Polaschek, die Entlastungsschritte per Erlass anzuordnen.

"Aufgrund der aktuellen Datenlage und den Vergleichswerten der Vorjahre kann davon ausgegangen werden, dass auch heuer der Lehrkräftebedarf gedeckt werden kann", hieß es unterdessen aus dem Bildungsministerium in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber der APA. Es gebe freilich regionale Unterschiede. Niederösterreich und das Burgenland etwa hätten bereits vermeldet, dass sie den Bedarf decken können. Wien stehe hingegen noch vor der Herausforderung, bis zu Schulbeginn ausreichend Lehrkräfte zu bekommen. "Wir sind jedoch zuversichtlich, dass auch das gelingen wird", so Polaschek.

Unabhängig davon brauche man ausreichend Lehrkräfte für die Zukunft, bundesweit werde deshalb mit kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen gegengesteuert. Konkret nannte er etwa die Initiative "Klasse Job", über die bereits 600 Quereinsteiger rekrutiert wurden, und die geplante Reform der Lehrerausbildung, damit Junglehrer früher im Klassenzimmer stehen.

Ausgemistet gehört auch bei der "sogenannten Qualitätssicherung"

Ausgemistet gehört aus Sicht der Gewerkschafter zudem bei der "sogenannten Qualitätssicherung". Hier würden Papiere für Behörden erzeugt, die Schulen keinen konkreten Nutzen brächten. "Das können wir uns in einer Situation mit viel zu wenig Personal einfach nicht mehr leisten." Die Schulleiter sollten sich zudem um Personalentwicklung und gute Pädagogik kümmern und nicht um "irgendwelche Schulverwaltungsprogramme oder sinnlose Abfragen".

Viel Arbeit beim Unterstützungspersonal für Lehrer

Viel zu tun sei auch noch beim Unterstützungspersonal: Bei der neu geschaffenen Möglichkeit, über den Finanzausgleich vom Bund kofinanzierte Sekretariatskräfte, Schulsozialarbeiter und -psychologen anzustellen, stünden Länder auf der Bremse, "weil sie einfach nicht zahlen wollen". Um das Arbeiten in der Schule attraktiver zu machen, sollten laut Kimberger auch die Gehälter für Lehr- wie Unterstützungspersonal angehoben werden. Diese sind für ihn nicht mehr konkurrenzfähig, in Regionen wie Vorarlberg oder an der Grenze zu Bayern drohe die Abwanderung ins Nachbarland.

Kein Beschluss: Kimberger enttäuscht von Reform der Lehrerausbildung

Enttäuschend findet Kimberger, dass zur schon lange geforderten Reform der Lehrerausbildung weiter kein Beschluss vorliegt. Polaschek will die Novelle im Herbst vorlegen. Dadurch könnten die Hochschulen aber noch immer nicht mit Vorarbeiten für eine "effektivere, praxisnähere" Ausbildung beginnen. Geplant ist, dass der Bachelor künftig drei statt vier und der Master zwei Jahre dauert, für die Sekundarstufe (Mittelschule, AHS, BMHS) wäre das eine Verkürzung um ein Jahr. Für Kimberger werden die Lehrer mit dem derzeitigen, "praxisfernen" Modell nicht gut auf das Unterrichten vorbereitet, deshalb brauche es auch die "eigenartige" Induktionsphase als Berufseinführungsjahr.

Schulen sollten schneller entlastet werden

Um die Schulen schneller zu entlasten, fordert Kimberger zusätzlich zur Reform auch Umstiegsmöglichkeiten aus der bestehenden in die neue Ausbildungsform. "Es gibt hier intelligente Modelle, damit Ausbildung und Unterricht gut abgestimmt parallel laufen kann."

Eigene Ausbildung für Sonderpädagogik sei notwendig

Unbedingt notwendig wäre auch die Wiedereinführung einer eigenen Ausbildung in Sonderpädagogik (seit der Reform 2015 gibt es stattdessen einen Schwerpunkt Inklusion). Eine eigene Ausbildung sei wegen der Ausdifferenzierung des Bereichs "alternativlos", dazu komme der große Personalmangel in dem Bereich.

Dabei würden nicht einmal alle Schüler mit Behinderung die benötigte Unterstützung bekommen, so Kimberger. Derzeit gibt es höchstens für 2,7 Prozent der Pflichtschüler, die wegen körperlicher oder psychischer Einschränkung spezielle Unterstützung im Unterricht benötigen, zusätzliche Mittel über den Finanzausgleich. Der tatsächliche Bedarf wird jedoch auf das Doppelte, in Ballungsräumen noch höher geschätzt. Allein um diese Kinder zu versorgen, wären 3.000 zusätzliche Sonderpädagoginnen und -pädagogen nötig, rechnet Kimberger vor. Er befürchtet allerdings, dass der Deckel auch im neuen Finanzausgleich erhalten bleiben wird, der aktuell verhandelt wird. Immerhin scheine sich alles nur um Gesundheit und Pflege zu drehen.

Kimberger bewertet neue Quereinsteiger-Angebote positiv

Die neuen Quereinsteiger-Angebote für die Sekundarstufe bewertet Kimberger grundsätzlich positiv, jede zusätzliche Person bringe Entlastung. Er wünscht sich ein solche Modell aber auch für die Volksschulen, hier gebe es schließlich einen "eklatanten Mangel". Welche Personen hier als Quereinsteiger in Frage kämen, ließ Kimberger offen. Klar sei aber: "Das darf sicher kein Programm sein, um Elementarpädagoginnen abzuwerben." Immerhin hätten die Kindergärten selbst mit Engpässen zu kämpfen.

Die FPÖ sah sich am Donnerstag durch Kimbergers Aussagen bestätigt. Polaschek sei eine Fehlbesetzung und rede den seit Jahren bestehenden Lehrermangel klein, so Bildungssprecher Hermann Brückl. "Statt wirksame Maßnahmen zu setzen, kündigt Polaschek wohl in regelmäßigen Abständen irgendwelche Maßnahmen und Kampagnen an, die dann aber nie umgesetzt werden." Er fordert eine kürzere, attraktivere Lehrerausbildung sowie Reformen bei Aus- und Weiterbildung, Besoldung und Arbeitszeit.

Die FPÖ sah sich am Donnerstag durch Kimbergers Aussagen bestätigt. Polaschek sei eine Fehlbesetzung und rede den seit Jahren bestehenden Lehrermangel klein, so Bildungssprecher Hermann Brückl in einer Aussendung. Für SPÖ-Bildungssprecherin Petra Tanzler ist es im Bildungssystem "fünf nach 12", sie verlangte von Polaschek "massive strukturelle Änderungen" anstelle "oberflächlicher Verschönerungen". Es sei "richtig und wichtig, dass auch die Gewerkschaft nicht müde wird, die Missstände im Bildungssystem anzusprechen", so Tanzler. Für NEOS-Bildungssprecherin Martina Künsberg Sarre muss Polaschek dafür sorgen, dass Lehrerinnen und Lehrer tatsächlich Zeit zum Unterrichten finden, statt sich mit "sinnbefreiten Verwaltungsarbeiten" herumzuschlagen. "Der Bildungsminister sollte das endlich einsehen und den Expertinnen und Experten vor Ort mehr zutrauen."

(APA/Red)

  • VIENNA.AT
  • Österreich
  • Lehrermangel: Angst vor unbesetzten Klassen im Herbst
  • Kommentare
    Kommentare
    Grund der Meldung
    • Werbung
    • Verstoß gegen Nutzungsbedingungen
    • Persönliche Daten veröffentlicht
    Noch 1000 Zeichen