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Legenden und Mythen vernebeln die Rolle von Karadzic

Glaubt man der Mehrzahl der serbischen Medien, dann ist der vor zwei Wochen in Belgrad verhaftete mutmaßliche Kriegsverbrecher Radovan Karadzic ein Inbegriff der Menschlichkeit, ein durch und durch sympathischer Mann - und ein Opfer der Ränkespiele des Westens.

Erst zollten sie dem Doppelleben von Karadzic als alternativem Arzt und Wunderheiler Dr. Dabic Bewunderung. Dann ließen sie den orthodoxen Bischof Amfilohije berichten, Karadzic habe ihm in der Zelle versichert, sein ganzes Leben nach christlichen Grundsätzen geführt zu haben.

Und seit einigen Tagen wird von immer mehr “Zeugen” ein angebliches Abkommen von Karadzic mit dem damaligen US-Balkanvermittler Richard Holbrooke aus der Mitte der 90er Jahre “bestätigt”. Danach sei dem vom UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag angeklagten 63-Jährigen als Gegenleistung für den Rückzug aus der Politik Straffreiheit zugesichert worden. Der liberalen Belgrader Zeitung “Danas” reichte es jetzt. Mit deutlichen Worten geißelte sie am Montag, dass mit immer neuen Absurditäten und höchst zweifelhaften Enthüllungen vernebelt werden solle, dass Karadzic die schwersten Kriegsverbrechen in Europa seit 1945 vorgeworfen werden.

Die Motive dafür seien klar, schrieb das Blatt. “Serbien war immer auf der Seite des UN-Tribunals und wollte die Verdächtigen sofort ausliefern, was aber durch ausländische Staaten und Geheimdienste verhindert wurde, die vielleicht heute auch Mladic schützen”. Ratko Mladic ist als Militärführer der bosnischen Serben im Bürgerkrieg (1992-1995) der jetzt am meisten gesuchte Angeklagte des UN-Tribunals.

Die Boulevardpresse in Belgrad behauptete am Montag, der US-Geheimdienst CIA habe Karadzic nach seiner Verhaftung “erpressen” wollen. Er werde luxuriöse Haftbedingungen nach seiner Verurteilung erhalten, wenn er das umstrittene Abkommen mit Holbrooke vor Gericht nicht erwähne. Schon vor Jahren war ein DIN-A-4 Blatt mit den einzelnen Punkten und den Unterschriften von Karadzic und Holbrooke in serbischen Zeitungen als Faksimile gedruckt worden.

Karadzic selbst hat in Den Haag behauptet, die USA trachteten ihm mit einem dunklen “Plan B” nach dem Leben, damit er nicht Einzelheiten der vielen Absprachen mit Washington während des Krieges ausplaudern könne. Diese Darstellung spricht vielen Serben aus der Seele. Sie glauben auch nach wie vor, dass der frühere Autokrat Slobodan Milosevic vor zwei Jahren in der Haager Zelle ermordet wurde und nicht einem Herzinfarkt erlegen ist.

Selbst im serbischen Sport führt Karadzic Regie, will man den Medien glauben. “Die UEFA bestraft Partizan wegen Karadzic”, titelte die Zeitung “Press”. Weil die Zuschauer dieses Belgrader Fußballclubs den Namen von Karadzic skandiert hatten, drohe ihm der Traditionsverein jetzt der Ausschluss aus den europäischen Wettbewerben. Und dann noch die “Sensationsmeldung”, die Mafiabande “Zemun-Clan”, die vor fünf Jahren den serbischen Regierungschef Zoran Djindjic ermordet hatte, habe Karadzic schon vor Jahren an die CIA “verkaufen” wollen.

Jetzt läuft in den Medien landauf und landab die neueste “Enthüllung”: Karadzic sei bei seiner Verhaftung sein Laptop samt 50 CDs gestohlen worden, auf denen er seine Verteidigung entworfen habe. Wenig plausibel ist jedoch, dass der Gesuchte, der sich bei seiner Verhaftung auf einer Reise in den Bäderort Vrdnik bei Belgrad befand, gerade dieses brisante Material spazieren führte. Und noch weniger plausibel ist es, dass Karadzic dafür 50 CDs benötigen könnte – auf eine CD passen etwa 250.000 Textseiten.

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