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Le Havre

Ein warmherziger, optimistischer, eigenwilliger Film zu einem der großen Themen unserer Zeit: "Le Havre" des Finnen Aki Kaurismäki ist ein Glücksfall für das Gegenwartskino. Am Donnerstag (3. November) läuft der Film, der bei den Festspielen in Cannes einer der Kritikerfavoriten war und auch bei der Eröffnung der Viennale mit viel Applaus bedacht wurde, regulär in den heimischen Kinos an.

Ein fast mittelloser Mann, der selbst genug zu tun hätte in seinem persönlichen Überlebenskampf, setzt einen Widerstandsakt gegen die Mächtigen. Er kümmert sich um Idrissa (Blondin Miguel), einen im Hafen gestrandeten afrikanischen Buben, der als einziger seiner im Schiffscontainer nach Frankreich geschmuggelten Familie der Polizei entkommen konnte. Die ganze Nachbarschaft hilft mit, den jungen Flüchtling vor der Polizei zu verstecken. Fast die ganze Nachbarschaft – denn einen Denunzianten gibt es (Jean-Pierre Léaud in Kurzauftritten). Doch er hat nicht damit gerechnet, dass es auch bei der Polizei Menschen gibt, für die Recht und Gesetz nicht der einzige Maßstab ihres Handelns ist.

Anders als in vielen seiner früheren Filme ist diesmal nur die Kulisse von Kaurismäkis Film trostlos. Le Havre ist einer jener unzähligen europäischen Häfen, wo Arbeitslosigkeit zu einem großen Problem geworden ist und dennoch täglich Flüchtlinge aus aller Welt mit der Hoffnung auf ein besseres Leben stranden. Die Menschen haben sich diesmal jedoch eine rührende Herzlichkeit bewahrt, versinken nicht in Suff und Selbstmitleid, sondern zeigen Solidarität. Das könnte grässlich schmalzig sein, zumal die Geschichte gut ausgeht und sich in “Le Havre” die gute Tat bezahlt macht. Doch Kaurismäki setzt auf Lakonie und Non-Acting als Stilmittel und unterläuft auf diese Weise souverän den drohenden Kitsch.

Andre Wilms spielt in diesem sozialkritischen Märchen die gute Fee, den erfolglosen Schriftsteller Marcel Marx, der als Schuhputzer arbeitet und mit seiner kranken Frau Arletty (wie immer toll: Kati Outinen) in einem winzigen Haus ein ruhiges, geregeltes Leben führt. In einem von viel Gelächter begleiteten Auftritt erzählte Wilms bei der Viennale-Eröffnung von der Arbeit mit Kaurismäki, dem am Set alles bewusste Schauspiel bereits zu viel gewesen sei. In jedem anderen Film wäre der Verzicht auf jegliches klassische darstellerische Mittel einer Provokation gleichgekommen – in “Le Havre” schafft er die notwendige Distanz zum realistischen Geschehen.

Am Ende ist alles gut. Dank eines vom einem befreundeten Alt-Rocker (Roberto Piazza als Elvis-Verschnitt) gegebenen Wohltätigkeitskonzerts wird genügend Geld für die illegale Weiterreise Idrissas zur in London lebenden Verwandtschaft gesammelt. Zwischen Marx und Kommissar Monet, der unter der rauen Schale ein weiches Herz trägt (sehenswert: Jean-Pierre Darroussin), könnte eine lange, wunderbare Freundschaft begonnen haben, und die Gattin ist wie durch ein Wunder von ihrer schweren Krankheit geheilt. So schön kann Kino sein. Und freilich auch: so utopisch.

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