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Kurz geht's an die Substanz

Sebastian Kurz verliert in der Coronakrise an Boden.
Sebastian Kurz verliert in der Coronakrise an Boden. ©APA/HERBERT NEUBAUER
Gastkommentar von Johannes Huber. Symbolische Maßnahmen und geschliffene Reden genügen nicht mehr. Zu viele Unternehmer spüren die Unzulänglichkeiten persönlich und ganz brutal.

Aus der Sicht von Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz gibt es eine Zeit vor und eine Zeit ab #Kleinwalsertal. Zunächst war alles bestmöglich gelaufen: In der größten Krise nach dem Zweiten Weltkrieg hatte er sich so sehr profilieren können, dass sich seine Umfragewerte in schwindelerregende Höhen bewegten. Wirkungsvolles Krisenmanagement und erfreulich wenige Infektionen hatten aus Österreich wieder einmal eine Insel der (relativ) Seligen gemacht.

Mit dem Auftritt im Kleinen Walsertal ist jedoch vieles zusammengebrochen: Nachdem Hinz und Kunz gesehen hatten, dass nicht einmal Kurz und seine Begleiter #abstandhalten, war’s vorbei mit dem ganzen Zusammenreißen. Selbst Bundespräsident Alexander Van der Bellen blieb weit über die Sperrstunde hinaus beim Italiener picken. Das ist das eine. Das andere: Mehr und mehr wurde auch deutlich, dass wir zwar in Bezug auf COVID-19 recht gut dastehen, darüber hinaus jedoch große Probleme haben. Und dass die Regierung ebendiese Probleme nicht in den Griff bekommt, um es vorsichtig auszudrücken.

„Koste es, was es wolle“, haben Kurz und Co. im März erklärt, um damit zum Ausdruck zu bringen, dass sie so viel Geld wie nötig aufstellen, um die Wirtschaft und damit auch hunderttausende Arbeitsplätze zu retten. Die Umsetzung ließ jedoch zu wünschen übrig. „Die Hilfspakete sind zerplatzte Luftballons“, stellte Berndt Querfeld vom legendären Café Landtmann im Standard fest.

An dieser Stelle versuchte die „Message Control“-Maschinerie von Kurz noch, niederzubügeln, was ihres Erachtens niedergebügelt werden muss. Wie sie es gewohnt ist: Nach #Kleinwalsertal rief der Chef selbst nicht nur einmal bei der Kleinen Zeitung an, um sich über eine differenzierte Darstellung seines Auftritts zu empören. Bei Querfeld ließ man diskreditierende Informationen öffentlich werden, die eindeutig dem Amtsgeheimnis unterliegen, ergänzt um die Aufforderung, er möge doch sämtliche Unterstützungen offenlegen, um die er sich bemüht habe. Auf dass er sich selbst blamiere!

Das jedoch ist erfreulicherweise nach hinten losgegangen: Wo würden wir denn hinkommen, wenn sich solche Politjustiz durchsetzen könnte?  „Sind wir in einem Land, in dem man seine Meinung nicht mehr sagen darf?“, reagierte Christina Hummel vom gleichnamigen Kaffeehaus in der Josefstädter Straße laut Kurier „erschüttert“. SPÖ-Bürgermeister Michael Häupl besuchte Querfeld gemeinsam mit dem schwarzen (!) Wirtschaftskammerchef Walter Ruck demonstrativ im Landtmann. Und IV-Präsident Georg Kapsch bestätigte in der „ZIB2“ des ORF, das man bei den Hilfen zu lange gewartet habe und die Abwicklung nicht klar genug gewesen sei.

Damit kein Missverständnis aufkommt: Hier geht es nicht um Haltungsnoten, sondern um Existenzielles. Das macht die Sache für Kurz so brisant: Erstmals spürt er den Unmut von Leuten, die ihm wichtig sind (Wirtschaftstreibende), weil viele von ihnen schlaflose Nächte haben und weder ein noch aus wissen. Zurecht. Es ist wirklich ernst. Trotz Kurzarbeit gab es in den vergangen Wochen extrem viele Kündigungen, in Favoriten ist jeder Vierte arbeitslos.

Geschliffene Reden und symbolische Maßnahmen, wie sie Kurz beherrscht, reichen unter diesen Umständen nicht mehr aus. Sie retten keinen Job. Für Kurz ist das gerade auch im Hinblick auf die Wiener Gemeinderatswahl gefährlich: War einst nicht ausgeschlossen, dass es ihm gelingen könnte, über seinen Statthalter (bzw. Spitzenkandidat) Gernot Blümel und mit Unterstützung anderer Parteien den roten Bürgermeister zu stürzen, so muss er jetzt schon froh sei, wenn die SPÖ am 11. Oktober nicht triumphiert.

Johannes Huber betreibt den Blog dieSubstanz.at – Analysen und Hintergründe zur Politik

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