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Kurden zwischen Hoffen und Bangen

Die Bewohner von Chamchamal im Nordirak sehen den kommenden Wochen mit Hoffen und Bangen entgegen: „Die chemischen Waffen sind seit Halabja unser Albtraum!“

Sie wissen, dass sie entweder von der Angst vor Saddam Hussein befreit oder von seinen Soldaten umgebracht werden. Wenige Kilometer von Chamchamal entfernt, nahe Kirkuk, verläuft die Grenze zwischen den autonomen Kurdengebieten und dem Machtbereich Bagdads. In den Bergen hat die irakische Armee Bunker gebaut. Die 40.000-Einwohner-Stadt liegt nicht nur in Reichweite von Saddams Maschinengewehren, sondern auch seiner Chemiewaffen.

„Wir fürchten die Reaktion der Truppen, sollte es mit dem Krieg losgehen“, sagt Jwamer Karim, ein 36-jähriger Einwohner. Die Rede von US-Außenminister Colin Powell im Weltsicherheitsrat in New York hat im Nordirak, der seit 1991 der Kontrolle Bagdads entzogen ist, große Hoffnungen geweckt, aber auch Todesängste hervorgerufen. Nach Jahrzehnten der Unterdrückung durch Bagdad hoffen die Kurden auf die endgültige Befreiung, doch zugleich wissen sie genau, was der Besitz chemischer Waffen im Irak bedeutet. Die Erinnerungen an deren Einsatz in Halabja sind noch lebendig. Dort starben 1988 innerhalb eines Tages rund 5.000 Menschen, nachdem die irakische Luftwaffe die Stadt mit chemischen Waffen bombardiert hatte. Das unweit der iranischen Grenze gelegene Halabja war ein Zentrum aufständischer Kurden gewesen.

Der Einsatz gegen die Kurden sei ein klarer und konkreter Beweis dafür, dass Saddam Hussein chemische und biologische Waffen besitze, bekräftigt die Patriotische Union Kurdistans (PUK), die unter ihrem Führer Jalal Talabani einen Teil des Nordirak beherrscht. Die Kurden hätten die Schreckensvision, die Powell in seiner Rede darzustellen versuchte, bereits am eigenen Leibe erlebt. „Die chemischen Waffen sind unser Albtraum“, fasst Karim die Stimmung der Einwohner von Chamchamal zusammen.

Die Behörden im Nordirak, der seit 1991 von der PUK und der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) regiert wird, bemühen sich darum, die verängstigte Bevölkerung zu beruhigen. „Die Zeiten, in denen das irakische Regime unser Volk mit chemischen Waffen bedrohen und angreifen konnte, sind vorbei“, verkündet der KDP-Vorsitzende Massud Barzani. Der von der PUK gestellte „Innenminister“ Faraydun Abdul Kadir wird nicht müde, den Menschen zu versichern, dass alle notwendigen Vorkehrungen für den Fall eines irakischen Angriffs getroffen worden seien.

Doch die offiziellen Versprechungen können die Ängste, die kurdische Familien seit Jahrzehnten in die Flucht getrieben haben, nicht ganz aus der Welt geschaffen. Die 40-jährige Kurdin Amina Kadir hat ihr bisheriges Leben schon an vielen verschiedenen Orten verbracht. Vor ein paar Jahren ließ sie sich in Chamchamal nieder. „Wir sind es leid, wirklich leid, immer wieder herumzuziehen“, sagt sie. „Ich kann nirgendwo mehr hin und mich wieder verstecken. Diesmal werde ich in meinem Haus bleiben, und ich werde entweder frei sein oder tot.“

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