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Kritik aus Wien: Weg für neue Mindestsicherung ist frei

Die neue Mindestsicherung soll am 1. Juni in Kraft treten.
Die neue Mindestsicherung soll am 1. Juni in Kraft treten. ©APA/HARALD SCHNEIDER
Die neue Mindestsicherung ist am Mittwoch von der Bundesregierung Richtung Parlament geschickt worden, bis 1. Juni gilt eine Übergangsfrist. Die Wiener rot-grüne Regierung kritisiert die REgelung indes heftig.
Mindestsicherung Neu: Das änderst sich

Die Bundesregierung hat am Mittwoch dem Umbau der bedarfsorientierten Mindestsicherung zur Sozialhilfe seinen Segen gegeben und eine Regierungsvorlage Richtung Parlament geschickt.

Die Spitzen von ÖVP und FPÖ zeigten sich nach der Regierungssitzung hocherfreut. “Ich glaube, wir haben ein System geschaffen, das deutlich besser und gerechter ist”, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im Pressefoyer. Die bisherige Mindestsicherung sei “viel zu attraktiv für Migranten, für Zuwanderer ins Sozialsystem”.

Grafik Mindestsicherung
Grafik Mindestsicherung ©APA

Das habe man geändert, gleichzeitig aber auch dafür gesorgt, arbeiten zu gehen wieder attraktiv zu machen. “Christlich-sozial ist das, was stark macht, nicht das, was in Abhängigkeit hält und schwach macht”, sagte Kurz. Zusätzlich habe man Alleinerzieher, Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderung bessergestellt.

Neue Mindestsicherung für Regierung “harmonisch, fair und effizient”

Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) ortete “insgesamt eine Lösung, die Integration und Arbeitsbereitschaft fördert”. Angesichts dessen, dass 62 Prozent der Mindestsicherungsbezieher, die beim AMS gemeldet seien, Migrationshintergrund hätten, habe man im Sinne der sozialen Fairness Maßnahmen ergreifen müssen. Nur erreiche man das Ziel, die Zuwanderung in das Sozialsystem zu stoppen.

Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) sprach von einer “harmonisierten, fairen und effizienten Lösung”. Menschen würden damit nicht in Abhängigkeit gehalten, sondern bekämen “Anreize, damit sie selbst wieder ohne staatliche Hilfe sein können”.

Dass man den Weg eines Grundsatzgesetzes statt einer Bund-Länder-Vereinbarung gegangen sei, liege einerseits an der höheren Verbindlichkeit für die Länder, andererseits aber auch in den größeren Spielräumen für diese. So hoffe nun auf “zügige Unterstützung” der (teils deutlich ablehnenden, Anm.) Bundesländer.

Kritik aus Wien

Vor allem aus der rot-grün regierten Bundeshauptstadt war viel Kritik gekommen. ÖVP-Klubobmann August Wöginger hoffte dennoch auf deren Beteiligung. “Die Bundeshauptstadt Wien müsste dieser Bundesregierung eigentlich dankbar sein für dieses Sozialhilfegrundsatzgesetz”, meinte er. Sollte dies anders kommen, “wäre das nicht zu tolerieren”, ergänzte Kurz: “Wir leben in einem Rechtsstaat, die Verfassung ist da sehr klar. Ich gehe nicht davon aus, dass ein Bundesland vorhat, gegen die Verfassung zu verstoßen.”

Dass man den Dialog mit den Bundesländern verweigert habe, ließ Hartinger-Klein nicht gelten. Es habe viele Gespräche und auch den Begutachtungsprozess gegeben, auch für Anfang April seien die Soziallandesräte eingeladen. “Aber man soll die Dinge nicht zerreden und zerdiskutieren.”

Dass das Ziel der Armutsbekämpfung im neuen Gesetz nicht mehr festgeschrieben ist, hat laut der Sozialministerin übrigens verfassungsrechtliche Grüne. Den Ländern sei es möglich, dies in den Ausführungsgesetzen trotzdem zu definieren.

Wien kritisiert “Dekonstruktion des Sozialsystems”

Angesichts des Ministerratsbeschlusses der neuen Sozialhilfe hat die rot-grüne Stadtregierung Türkis-Blau scharf kritisiert. Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) sprach von einer “Destruktion des Sozialsystems”, die grüne Sozialsprecherin Birgit Hebein von einem “Armutsförderungsgesetz”.

“Sozialministerin Hartinger-Klein hat ihr Versprechen an die Soziallandesräte vom vergangenen Dezember – die Standards der österreichweiten Mindestsicherung gemeinsam zu entwickeln – gebrochen, ohne mit der Wimper zu zucken. Die Bundesregierung verweigert den Dialog”, ärgerte sich Hacker in einer Aussendung. Damit sei der “absolute Tiefpunkt” in der Zusammenarbeit mit den Ländern erreicht.

Hacker hatte noch in der Begutachtungsphase angedroht, die geplante Regelung in Wien nicht umsetzen zu wollen – was ihm seitens des Bundes wiederum den Verwurf des “Verfassungsbruchs mit Anlauf” eingebracht hatte. Ob der Stadtrat bei seiner Position bleibt, ließ er heute auf APA-Anfrage noch offen. Man werde den Gesetzestext, der ihm noch nicht vorliege, einmal genau durcharbeiten und dann über die weitere Vorgangsweise entscheiden, sagte ein Sprecher. Das gelte auch bezüglich des für 8. April anberaumten Gesprächs mit Ministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ).

Ludwig und Doskozil empört über Vorgangsweise

Die Landeshauptleute der SPÖ-geführten Bundesländer haben sich am Mittwoch erbost über das Vorgehen der Bundesregierung in Bezug auf die Neuregelung der Mindestsicherung gezeigt. “Was uns in Wien sauer aufstößt, ist, wie mit den Bundesländern umgegangen wird”, sagte etwa Wiens Landeshauptmann Michael Ludwig. Mehrere ÖVP-Länderchefs verteidigten die Vorgangsweise dagegen.”Die Meinung der Bundesländer ist offensichtlich für die Bundesregierung nicht relevant”, stellte Ludwig vor Beginn der außerordentlichen Landeshauptleute-Konferenz im Wiener Rathaus gegenüber Journalisten fest. Denn obwohl für den 8. April ein Treffen zwischen Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) und den Soziallandesräten vereinbart war, wurde der Entwurf zur neuen Sozialhilfe bereits am heutigen Mittwoch vom Ministerrat beschlossen. “Ich habe den Eindruck, dass die Sozialministerin auf offener Bühne entmachtet wird”, sagte Ludwig. Denn sie habe andere Dinge bzw. Termine mit den Bundesländern vereinbart.

Zum geänderten Entwurf wollte er sich noch nicht im Detail äußern, da er ihn noch nicht kenne. Auf die Frage, ob Wien die Regelung umsetzen werde oder womöglich rechtlich dagegen vorgehen wird, legte sich Ludwig nicht fest: “Das wird auf den Entwurf ankommen.” Offenbar gebe es zumindest Zugeständnisse, was Menschen mit Behinderung angeht. “Offene Fragen” in Bezug auf die Kinder seien jedoch nicht gelöst worden. Es sei “unverständlich, wie man kinderreiche Familien so behandeln” könne, meinte Ludwig.

In die selbe Kerbe schlug der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ): Es sei “nicht okay”, im Ministerrat eine Änderung zu beschließen und erst Wochen später mit den Ländern zu diskutieren. Doszkozil ortete außerdem “große formale Defizite” im Entwurf. Für ihn stelle sich die Frage, wie weit die Regierung mit der Grundsatzgesetzgebung gehen dürfe. “Die Länder müssen ihre Interessen wahren”, betonte er. Auch er ließ mögliche rechtliche Schritte offen. “Es wird noch Gespräche zwischen Bund und Ländern geben müssen”, forderte er.

Mehrere ÖVP-Länderchefs verteidigten das Vorgehen der türkis-blauen Bundesregierung dagegen. Auf die Frage, ob es in Ordnung sei, wie mit den Ländern umgesprungen werde, meinte der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP): “Umgesprungen wird überhaupt nicht mit uns. Wir haben ein gutes Einvernehmen.”

Hilfsorganisationen kritisieren Armutsverschärfung

Die Hilfsorganisationen lehnen das Sozialhilfe-Vorhaben der Regierung entschieden ab. Österreich verabschiede sich damit vom Ziel der Armutsbekämpfung, stellte Volkshilfe-Direktor Erich Fenninger am Mittwoch fest. Und: Kinder seien der Regierung offenbar egal. Die soziale Unsicherheit werde erhöht und die Schere zwischen Arm und Reich vergrößert, kritisierte die Armutskonferenz.

Der türkis-blaue Entwurf bringe “die Sozialhilfe aus dem vorigen Jahrhundert zurück – aber schlimmer und in Zukunft nach Bundesland zerstückelter als sie es je war”, wandte sich das Netzwerk von Hilfsorganisationen in einer Aussendung dagegen, “die Chancen für tausende Kinder weiter zu verschlechtern, Familien in krankmachende Lebensbedingungen zu treiben und Menschen bis weit in die unteren Mittelschichten großer sozialer Unsicherheit auszusetzen”.

Sprachhürden würden diskriminieren

Mit dem Entwurf “verkommt die Sozialhilfe zu einem Mittel, mit dem fremdenpolizeiliche Ziele verfolgt werden und durch die hohen Sprachhürden diskriminiert wird”, stellte Fenninger fest. Mit der Familien-Staffelung würden Kinder “zu einem Leben in Armut” verurteilt und “bestraft, weil ihre Eltern sich in einer schwierigen Situation befinden”. Unterstes soziales Netz sei diese Sozialhilfe dann nicht mehr, merkte die Volkshilfe in einer Aussendung an, einige Bestimmungen wären auch verfassungsrechtlich bedenklich.

Sehr scharf fiel die Kritik des Arbeiter-Samariter-Bundes aus: “Die Brutalität, mit der sie sich auf die Schwächsten in unserer Gesellschaft eingeschossen hat, ist einfach unfassbar”, meinte Bundesgeschäftsführer Reinhard Hundsmüller in einer Aussendung. Dieser Ministerratsbeschluss bringe “nicht nur menschliches Leid, sondern kostet den Staat künftig viel Geld”, merkte er unter Hinweis auf die Folgen von Kinderarmut an.

Behindertenrat “erleichtert” über Änderungen

Der Österreichische Behindertenrat hat sich am Donnerstag zufrieden mit den Änderungen im Entwurf zur Mindestsicherung in Bezug auf Menschen mit Behinderungen gezeigt. “Wir sind erleichtert über die umfassende Adaptierung des Gesetzesentwurfes für Menschen mit Behinderungen und die Berücksichtigung unserer Stellungnahme in vielen Aspekten”, sagte Präsident Herbert Pichler in einer Aussendung.Der Erstentwurf des neuen Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes habe erhebliche Mängel aufgewiesen. Doch die “intensiven Gespräche mit dem Sozialministerium” hätten Wirkung gezeigt. Sechs von zehn Kritikpunkten seien behoben worden.

(APA/red)

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