Kritik an Sozialhilfe-System in Österreich

Für den umfangreichen Amnesty-Bericht wurden Experten sowie Personen, die Sozialhilfe beziehen, von den Autoren der Studie befragt. Insbesondere bei gefährdeten Gruppen wurden Mängel festgestellt.
Amnesty-Bericht kritisiert Lücken bei Sozialhilfe in Österreich
Ein Problem besteht beispielsweise darin, dass Behinderte ihre Eltern verklagen müssen, um Anspruch auf Sozialhilfe zu haben. Das Gleiche gilt für ehemalige Partner nach Trennungen, vorausgesetzt, dass die Erfüllung der Forderungen realistisch ist. Zusätzlich zur unangenehmen Situation müssen die betroffenen Personen auch die finanziellen Verhältnisse ihrer Angehörigen offenlegen, sofern sie im selben Haushalt leben. Dies kann zu Spannungen und Abhängigkeiten in einer bereits belasteten Situation führen.
Eine weitere Gruppe, der besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird, sind Personen mit subsidiärem Schutzstatus. Im Gegensatz zu Asylberechtigten haben sie keinen Zugang zur Sozialhilfe, sondern erhalten lediglich die weniger umfangreiche Grundversorgung. Ebenfalls keinen Anspruch auf Sozialhilfe haben Nicht-österreichische Staatsangehörige, die sich weniger als fünf Jahre legal und dauerhaft in Österreich aufhalten. Amnesty International warnt davor, dass dies dazu führen könnte, dass sie prekäre oder ausbeuterische Arbeit annehmen müssen. Auch sprachlich sind vor allem Menschen mit nicht-deutscher Muttersprache stark gefordert. Die Anträge, die für den Bezug eingebracht werden müssen, sind laut dem Bericht nicht nur zu umfangreich, sondern oft zudem schwer verständlich, selbst für Sozialarbeiter.
NGO will zurück zu System der Mindestgrenzen
Entsprechende Hürden würden oft dazu führen, dass die Sozialhilfe letztlich gar nicht bezogen wird, auch wenn man anspruchsberechtigt wäre. Amnesty bezieht sich auf eine Studie aus dem Jahr 2020, wonach etwa 30 Prozent aller anspruchsberechtigten Haushalte in Österreich keinen Antrag auf staatliche Unterstützung gestellt haben, obwohl sie die Voraussetzungen dafür erfüllten. Amnesty geht davon aus, dass sich die Zahl seither sogar erhöht hat. Dazu kommt, dass diverse Bezieher berichten, dass keine adäquate Beratung zur Verfügung gestanden sei.
Nachdem Amnesty International durch den Bericht neue Erkenntnisse gewonnen hat und im Vorfeld der österreichischen Nationalratswahlen, fordert die Organisation nun von der Politik, dass "Armut in Österreich als menschenrechtliches Problem anzuerkennen, das es zu lösen gilt", wie Ronya Alev, die Leiterin der Studie, in einer Aussendung betont. Dies würde auch bedeuten, dass das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz überarbeitet und die bestehenden Zugangsbeschränkungen aufgehoben werden müssten.
Das Ziel besteht darin, Mindestsätze für die Sozialhilfe einzuführen, ähnlich wie zuvor bei der Mindestsicherung. Allerdings wird das neue System, das von der ÖVP und der FPÖ eingeführt wurde, immer noch nicht in drei Bundesländern vollständig umgesetzt: Wien, Tirol und dem Burgenland. In diesen Bundesländern ist es möglich, durch zusätzliche Beihilfen den Maximalbetrag von 1.156 Euro für Ein-Personen-Haushalte zu überschreiten.
Neuer Schulungszuschlag im Nationalrat beschlossen
Indes beschloss der Sozialausschuss des Nationalrats am Dienstag, dass Bezieher von Sozialhilfe bzw. Mindestsicherung künftig einen Schulungszuschlag von bis zu 340 Euro pro Monat erhalten, wenn sie an Nach- und Umschulungen teilnehmen. Bei einer Ausbildungsdauer von mehr als zwölf Monaten bekommen Sozialhilfe-Beziehende 340 Euro monatlich. Dauert sie zwischen vier und zwölf Monate, beträgt der Schulungszuschlag 204 Euro pro Monat. Bei einer Ausbildungslänge von bis zu vier Monaten erhält man 68 Euro pro Monat.
Kritik an Sozialhilfe-System auch von Volksanwalt und NGOs
Kritik an den in der Studie problematisierten Zuständen kam von SPÖ-Volksanwalt Bernhard Achitz. "Es gibt Hinweise, dass Menschen, die eigentlich Anspruch auf Sozialhilfe hätten, durch extensive Auslegung der Mitwirkungspflicht vergrault werden", schrieb er in einer Aussendung. Auch der Volksanwaltschaft kämen immer wieder Fälle unter, wo Erwachsene ihre Eltern klagen sollen, oder Pensionisten und Pensionistinnen deren Kinder.
Der Bericht war auch Anlass für mehrere NGOs, abermals Kritik an der Sozialhilfe zu üben. Statt in einer Krisensituation Schutz zu bieten, führe das neue Gesetz zu einer Ausbreitung der Not, bemängelte etwa die Armutskonferenz in einer Aussendung. Österreich sei das einzige Land der EU, dessen Verfassung keine sozialen Grundrechte beinhaltet, meinte außerdem das Vertretungsnetz. Diese Lücke sollte geschlossen werden.
(APA/Red)