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Krisengipfel gegen Orientierungslosigkeit der EU

Krisengipfel hat es in der EU schon viele gegeben, doch nie war die Orientierungslosigkeit so groß wie jetzt. Zur Verfassung soll es eine "Notoperation" geben, eine Einigung auf den Haushalt soll die Union vor Lähmung bewahren.

Wenn die EU-Staats- und Regierungschefs am kommenden Donnerstag und Freitag in Brüssel zusammenkommen, geht es um mehr als die Zukunft der EU-Verfassung nach den gescheiterten Referenden in Frankreich und den Niederlanden. Von dem EU-Gipfel wird vor allem ein klares Signal der Handlungsfähigkeit der Union erwartet, in diesem Sinne hoffen die EU-Spitzen vor allem auf eine Einigung bei dem umstrittenen EU-Haushalt bis 2013.

Nachdem Nettozahler wie Deutschland und Österreich zuletzt Kompromissbereitschaft signalisiert haben, schließen Diplomaten in Brüssel eine Einigung zum Budget nicht mehr aus. Nicht nur die EU als Gemeinschaft hat in der derzeitigen Vertrauenskrise einen Erfolg nötig, sondern auch das innenpolitisch schwer angeschlagene Führungsduo des deutsch-französischen Motors, Bundeskanzler Gerhard Schröder und Präsident Jacques Chirac.

Die beiden Kriegsgegner in der Irak-Krise sind aber auf die Unterstützung ihres damaligen Kontrahenten Tony Blair angewiesen, wenn eine Einigung beim Geld gelingen soll. Und der britische Premier hat seine rote Linie bereits vorgezeichnet: „Der Rabatt für das Vereinigte Königreich wird bleiben, und wir werden ihn nicht wegverhandeln“, hatte Blair am Mittwoch bekräftigt. Ob dies heißt, dass er über die derzeit 4,6 Mrd. Euro schweren Vergünstigungen im Jahr überhaupt nicht verhandeln will, oder nur den aktuellen Umfang des Rabattes retten will, bleibt offen. Auf jeden Fall werde ein „Einfrieren“ oder gar eine Reduktion des Rabattes nur „sehr, sehr schwer“ gelingen, sind sich EU-Diplomaten einig, von seiner Abschaffung brauche man gar nicht erst reden.

Auch in der EU-Verfassungskrise hat die britische Regierung Taten gesetzt, als Kommission und Ratspräsidentschaft noch Durchhalteparolen für eine Fortsetzung des Ratifizierungsprozesses ausgaben. Mit der „vorübergehenden“ Absage des britischen Verfassungsreferendums hat London die Bremse gezogen, auch wenn die britische Regierung stets betont, dass die Verfassung damit nicht automatisch am Ende ist. In der Union mehren sich mittlerweile die Stimmen, die eine längere Nachdenkpause als Konsequenz auf die Ablehnung durch die Franzosen und die Niederländer drängen.

Dänemark, Polen, Portugal, Schweden und Irland denken bereits laut über eine Absage ihrer Abstimmungen nach, wollen aber im Gegensatz zu London nicht vorpreschen, sondern die gemeinsamen Gipfelberatungen abwarten. Die EU-Chefs werden sich auch der Frage stellen müssen, welche Teile der Verfassung in einer „Notoperation“ in den aktuellen Vertrag von Nizza „transplantiert“ werden könnten, sollte das Grundgesetz als solches nicht mehr zu retten sein.

Viel wird nunmehr vom Verhandlungsgeschick des dienstältesten EU-Regierungschefs, Luxemburgs Premierministr Jean-Claude Juncker, abhängen. „Die Verfassung ist nicht tot“, wurde er in den vergangenen Tagen nicht müde zu betonen. Mit der Reform des Euro-Stabilitätspaktes und dem im Windschatten der Verfassungskrise beschlossenen neuen Gehaltschema für Europaabgeordnete hat er als amtierender EU-Vorsitzender bereits große Brocken aus dem Weg geräumt. Angesichts der aktuellen Vertrauenskrise, in der sich die Europäische Union befindet, gehen solche Etappensiege aber unter.

Großbritannien, das ab Juli den Vorsitz der Union übernimmt , hat bereits deutlich gemacht, dass nicht die Verfassung oder der EU-Finanzrahmen, sondern Bürokratieabbau und wirtschaftliche Reformen den Schwerpunkt der nächsten sechs Monate bestimmen sollen. „Ich wünsche allen, die glauben, später etwas besseres zu erzielen, viel Glück“, hat Juncker mit bekannt ironischem Unterton und in Hinblick auf die nachfolgende britische und österreichische EU-Präsidentschaft seinen Budgetkompromiss von rund 871 Mrd. Euro verteidigt.

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