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Krise zwischen EU-Kommission und Türkei

Zwischen der EU-Kommission und dem Kandidatenland Türkei gibt es wegen der dort gestoppten Strafrechtsreform eine schwere Krise. EU-Erweiterungskommissar Verheugen bestellte überraschend den türkischen EU-Botschafter Oguz Demiralp ein.

Verheugen sagte nach dem kurzen Gespräch, er erwarte von der Regierung in Ankara Aufklärung darüber, wann und wie die Strafrechtsform beschlossen werden solle und ob es bedeutende Änderungen geben werde. Der „Bild am Sonntag“ sagte Verheugen, die Kommission werde klarstellen, „dass Beitrittsverhandlungen nicht kommen können, solange dieses zentrale Element nicht erfüllt ist“.

Verheugen betonte, die Strafrechtsreform wirke sich auf die politischen Beitrittskriterien in bedeutender Weise aus. Es seien dabei zwei Felder berührt: die Verankerung der Rechtsstaatlichkeit und der Schutz von Grundrechten und -freiheiten. Der deutsche Kommissar widersprach damit dem türkischen Regierungschef Recep Tayyip Erdogan, der sich am Freitag jegliche Einmischung verboten hatte. Nach dessen Ansicht hat die Türkei die Kopenhagener Beitrittskriterien erfüllt. Botschafter Demiralp sagte, er erwarte nicht, dass sich der Konflikt um die Strafrechtsreform negativ auf den Bericht der Kommission auswirken werde.

Nach seiner scharfen Kritik an der EU bemüht sich Erdogan jedenfalls um Schadensbegrenzung. Erdogan will am kommenden Donnerstag nach Brüssel reisen, um der EU seine Haltung zu erläutern. Das Parlament in Ankara beendete unterdessen seine Sondersitzung und ging bis zum 1. Oktober erneut in die Ferien. Damit sinken die Chancen, dass die Volksvertretung die Strafrechtsreform bis zur Vorlage des nächsten Türkei-Berichts der EU-Kommission am 6. Oktober verabschieden kann.

Verheugen sagte vor Journalisten in Brüssel, die seit längerem für den 6. Oktober geplante Stellungnahme der EU-Kommission zur möglichen Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei werde nicht verschoben. „Ich sehe keinen Grund, warum wir das verzögern sollen.“ Es gebe aber ein Problem mit dem Zeitplan, denn die Kommission sei davon ausgegangen, dass die Strafrechtsreform vor der Stellungnahme der EU-Behörde angenommen werde. Zu dieser vom türkischen Parlament auf Eis gelegten Reform gehört auch der umstrittene Ehebruch-Paragraf.

Die Reform des 78 Jahre alten Strafgesetzbuchs sieht zum einen vor, Ehebruch zu einem Straftatbestand zu machen, was in keinem anderen EU-Mitgliedsland mehr der Fall ist. Es stärkt zugleich aber auch Frauenrechte, indem etwa sexuelle Belästigung und Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt werden sollen.

Verheugen ließ es in Brüssel offen, ob die Kommission die Aufnahme von Verhandlungen empfehlen wird, falls die Strafrechtsreform nicht bis zum 6. Oktober verabschiedet wird. „Das werde ich der Kommission am 6. Oktober sagen.“ Über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, die seit 1999 Kandidatenland ist, werden die Staats- und Regierungschefs der EU bei ihrem Dezember-Gipfeltreffen entscheiden.

Frankreichs Innenminister Dominique de Villepin (UMP) erklärte unterdessen, in Bezug auf einen künftigen Beitritt der Türkei müsse die Europäische Union „anspruchsvoll“ sein, was aber nicht bedeute, „die Tür für immer zu schließen“. Die strafrechtliche Verfolgung des Ehebruchs, die islamisch-konservative Politiker anstreben, bezeichnet de Villepin als „vollkommen inakzeptabel für uns“. „Sie widerspricht gänzlich den Werten, die wir verteidigen“, betonte der Minister am Sonntag im Pariser Radiosender „Europe 1“.

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