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Komplexe Opfer-Täter-Beziehung

Der schriftliche Appell von Natascha Kampusch, den die 18-Jährige am Montagvormittag an Medien und Weltöffentlichkeit gerichtet hat, zeige eine komplexe Beziehung des Opfers zu seinem Entführer.

Das sagte der Gerichtspsychiater Reinhard Haller im APA-Gespräch. Aus der Nachricht der 18-Jährigen lasse sich herauslesen, dass Wolfgang Priklopil in Nataschas Augen nicht nur „ein bösartiger Sadist“ und „ein Monster“ war.

Die Aussage „Er hat mich auf Händen getragen und mit den Füßen getreten“ deute auf diese gespaltene Beziehung zu dem 44-Jährigen hin. „Einerseits lässt der Täter sie hochleben, andererseits unterdrückt er sie“, erklärte Haller. Häufig würden Kriminelle von Opfern so gesehen, wenn sie sexueller Gewalt ausgesetzt waren, meinte der Gerichtspsychiater. Daraus zu schließen, dass Natascha Kampusch missbraucht worden ist, sei jedoch Spekulation.

„Wenn sie wirklich das Positive dieses furchtbaren Unglücks erkennt, ist das eine gesunde Reaktion“, meinte er. Die 18-Jährige hatte in der Mitteilung von ihrem Psychiater Professor Max Friedrich verlesen lassen, dass es ihr durch die Gefangenschaft etwa erspart geblieben ist, mit dem Rauchen und Trinken zu beginnen.

Verständlich sei, dass Natascha in gewisser Weise über den Tod Priklopils trauert, meinte Haller. Sein Selbstmord sei für sie sicherlich nicht einfach gewesen. „Sie war ihm jahrelang ausgeliefert. Er war ihre einzige Bezugsperson – vielleicht so etwas wie ein Vater, ein Bruder oder ein Geliebter“, sagte der Facharzt.

Nataschas Beschreibung des Verlieses, das sie als „hinreichend eingerichtet“ und „meinen Raum“ bezeichnet hat, dürfte für die 18-Jährige trotz allem so etwas wie ein Nest gewesen sein, sagte Haller. Selbst Kriminelle, die nach jahrelanger Haft aus ihrer Zelle entlassen werden, erleben einen Trennungsschmerz, meinte er.

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