Klitschko: Schmutziger Wahlkampf um mehr Demokratie
Medien nennen den Wahlkampf “sehr hart”. Welche Erfahrung machen Sie?
Klitschko: “Der Wahlkampf läuft sehr schmutzig ab, ohne Regeln, man behindert uns stark. Die Lokalregierungen verbieten unsere Versammlungen oder stellen den Strom ab. Uns werden Treffen mit Studenten untersagt. Sie drohen Teilnehmern damit, dass sie ihre Arbeitsstelle verlieren. Es werden Falschinformationen verbreitet.”
Wer finanziert Ihre Kampagne? Und macht der Wahlkampf trotzdem Lust auf eine mögliche Kandidatur bei der nächsten Präsidentschaftswahl?
Klitschko: “Wir geben in unserer Kampagne etwa zehn Millionen Euro aus. Ich bin den Menschen sehr dankbar, die Geld beisteuern, jedoch stammt etwa die Hälfte von mir selbst. Was die Präsidentschaftswahl angeht, möchte ich heute nicht spekulieren.”
Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko und andere Oppositionelle sitzen im Gefängnis. Sollte die EU die Ukraine deswegen bestrafen?
Klitschko: “Die Europäische Union hat aus diesem Grund ein wichtiges Assoziierungsabkommen mit der Ukraine auf Eis gelegt. Ich denke aber, dass das Abkommen ratifiziert werden sollte. Das würde die Regierung zu konkreten Reformen zwingen. Immer wieder wird ja über mögliche Sanktionen gegen Kiew gesprochen. Falls der Westen zu diesem Mittel greift, sollten sich die Zwangsmaßnahmen nicht gegen das Volk richten. Es könnten Sanktionen gegen einzelne Personen sein.”
Das Parlament in Kiew diskutiert derzeit über ein sehr umstrittenes Verbot von “Schwulen-Propaganda”. Wie werden Sie abstimmen?
Klitschko: “Zugegeben: Ich bin eher konservativ. Aber jeder soll seine Ansichten vertreten können, falls sie nicht den allgemeinen Grundwerten widersprechen. Daher sind wir für Toleranz zum Beispiel gegenüber Homosexuellen. Wir würden gegen ein solches Verbot stimmen. Wir stehen für die europäischen Prinzipien, und das heißt: Jeder Mensch ist frei in seinen Entscheidungen. Verbote sind Unsinn.”
Die Ukraine – zweitgrößtes Land Europas
Die seit 1991 unabhängige Ukraine ist das zweitgrößte Land Europas. Die frühere Sowjetrepublik gilt als wichtigstes Transitland für russische Gaslieferungen in die Europäische Union. Für den Staat mit seinen rund 45 Millionen Einwohnern ist Russland der wichtigste Handelspartner. Politisch ist die Ukraine gespalten in den mehrheitlich russischsprachigen Osten und Süden sowie den überwiegend ukrainischsprachigen Westen. Die Hauptstadt ist Kiew. Beliebter Urlaubsort für Millionen Touristen ist die Halbinsel Krim am Schwarzen Meer, die auch für ihren Sekt bekannt ist. Im Sommer 2012 war die Ukraine gemeinsam mit Polen Gastgeber der Fußball-Europameisterschaft. Wirtschaftlich ist der Osten des Landes von Schwerindustrie und Bergbau geprägt, im westlichen Teil ist vor allem Landwirtschaft angesiedelt. Am 26. April 1986 ereignete sich im Atomkraftwerk Tschernobyl ein schwerer Reaktorunfall mit Auswirkungen auch für Westeuropa.
Die wichtigsten Parteien der Ukraine
PARTEI DER REGIONEN: Vorsitzender ist Regierungschef Nikolai Asarow (64), als starker Mann gilt Präsident Viktor Janukowitsch (62). Außenpolitisch tritt die im russischsprachigen Osten des Landes verwurzelte Partei für Blockfreiheit ein. Mit der EU werden eine Freihandelszone sowie Reisefreiheit angestrebt. Umfragen sehen die Partei mit derzeit 195 der 450 Abgeordneten bei etwa 33 Prozent der Stimmen (2007: 34,37 Prozent).
UDAR: Die Ukrainische Demokratische Allianz für Reformen wird von Boxweltmeister Vitali Klitschko (41) geführt. Sie tritt erstmals bei Parlamentswahlen an. Außenpolitisch strebt Udar (“Schlag”) eine Annäherung an die EU an – bis hin zu einer Mitgliedschaft. Innenpolitisch konzentriert sich die Partei auf Bürokratieabbau, Korruptionsbekämpfung und eine Vereinfachung des Steuersystems. In Umfragen werden der Klitschko-Partei etwa 23 Prozent der Stimmen vorhergesagt.
VATERLAND: Vorsitzende der Oppositionspartei ist Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko (51), die aber wegen einer umstrittenen Haftstrafe nicht antreten darf. Spitzenkandidat für die Parlamentswahl ist daher der Ex-Präsident des Abgeordnetenhauses, Arseni Jazenjuk (38). Außenpolitisch strebt die im proeuropäischen Westen des Landes verankerte Partei eine schnelle Ratifizierung des EU-Assoziierungsabkommens an. Innenpolitisch will sie das Steuersystem extrem vereinfachen und die grassierende Korruption stärker bekämpfen. Umfragen sehen die Partei mit derzeit 98 Abgeordneten bei etwa 20 Prozent der Stimmen (2007: 30,71 Prozent).
KOMMUNISTEN: Die Nachfolgeorganisation der ukrainischen KP wird von Pjotr Simonenko (60) angeführt. Außenpolitisch will sie die Zusammenarbeit mit dem IWF aufkündigen, innenpolitisch zurück zu “sowjetischen Standards” wie kostenloser Gesundheitsversorgung und Verstaatlichung der Wirtschaft. Umfragen sehen die Partei mit derzeit 25 Abgeordneten bei etwa 13 Prozent der Stimmen (2007: 5,39 Prozent).
SWOBODA: Die rechtspopulistische “Freiheits”-Partei des Vorsitzenden Oleg Tjagnibok (43) fordert unter anderem den Abzug der russischen Schwarzmeerflotte sowie Ukrainischquoten in allen Medien. Umfragen sehen die Partei bei etwa 8 Prozent (2007: 0,76 Prozent).
(APA)