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Kino-Experten über "Fahrenheit 9/11"

Kommende Woche startet Michael Moores "Fahrenheit 9/11". Meinungen gehen von "populistisch, verkürzt und vereinfacht" bis zu "Propaganda für mündige Bürger".

Mit Michael Moores „Fahrenheit 9/11“ startet kommende Woche (6.8.) ein Film in den österreichischen Kinos, der derzeit sowohl wegen seiner politischen Botschaft als auch wegen seines finanziellen Erfolgs in aller Munde ist. Angesichts des medialen Getöse um Moores Kritik an US-Präsident George W. Bush, der eben durchbrochenen 100 Mio.-Dollar-Grenze an Einnahmen und der vehementen Reaktionen auf den Streifen aus den verschiedenen politischen Lagern bat die APA „Viennale“-Leiter Hans Hurch, die „Diagonale“-Intendantin Birgit Flos und den Dokumentarfilmer Nikolaus Geyrhalter um ihre Einschätzung des in Cannes mit der „Goldenen Palme“ ausgezeichneten Filmes und seines Erfolges.


Als „kinematografisches Werk ist Fahrenheit 9/11 sicher irrelevant“, befand Hurch im Gespräch mit der APA. Der Streifen weise eine „mittelmäßige, in gewisser Weise populistische Form auf, die von Verkürzung und Vereinfachung lebt“. Dennoch sei der Streifen „natürlich ein phänomenales Geschäft“ und könne in den USA, wo politisch „sehr viel über die Medienöffentlichkeit abgewickelt wird“, einen „großen Einfluss“ entwickeln, betonte Hurch. US-Präsident George W. Bush „nützt der Film sicher nicht“, so Hurch, der jedoch – analog zu Jean-Luc Godard – Parallelen zwischen Moore und Bush findet. Hurch: „In der populistischen Verkürzung von komplizierten Zusammenhängen sind die zwei vielleicht wirklich verwandt, beide suchen den schnellsten Weg zum Publikum.“


Moore sei kein analytischer, sondern eher ein „impressionistischer Filmemacher“, das Geheimnis des Erfolgs von „Fahrenheit 9/11“ sei „sehr geschicktes Marketing. So etwas ist in Europa mit einem so oberflächlichen Dokumentarfilm sicher nicht möglich“, so Hurch. Jedoch sei Moore „durchaus witzig und unterhaltend“, betonte Hurch bei aller Kritik. Moore habe eine „fast Showmaster-artige Qualität“ insbesondere im Umgang mit sich selbst. „Wenn ein kalter, analytischer Intellektueller an Moores Stelle diesen Film gemacht hätte, würde das eine kleine Community erreichen. Während ein schwitzender, dicker, unverschämter Teddybär, der so frech ist und sogar eine Wahl beeinflussen kann, etwas von der Illusion gibt, dass man doch etwas verändern kann.“ Damit erfülle Moore ein „richtiges demokratisches Bedürfnis“ und „eine gewisse Lust, die Mächtigen desavouiert zu sehen“.

“Politisch korrekt”, Moore gut zu finden


Moore spreche breite Bevölkerungsschichten aus unterschiedlichen Gründen an. „Das sieht man auch bei uns, Moore funktioniert für den ’Standard’ genauso wie für ’News’“, so Hurch. Ein Teil des Erfolgs sei auch, dass „die Leute das Gefühl haben, sie müssen den Film gesehen haben. Es ist derzeit Teil des politisch Korrekten, Moore gut zu finden“. In den USA gebe es „eine größere kritische Öffentlichkeit, als wir glauben“, die selten Gelegenheit habe, sich zu äußern.


Bei der Sichtung der Filme für die nächste Viennale fand Hurch „fast so etwas wie ein neues Genre“ von durch Moore beeinflussten Filmen mit “ähnlich oberflächlichen, verkürzten Argumentationen“, die mit „den Vorurteilen des Publikums“ spielten anstatt „aufklärerisch“ zu arbeiten. Zeigen jedoch wolle er keinen davon, so Hurch – „nicht, weil ich zensierend oder belehrend bin, sondern weil ich sie nicht für wichtig halte“. Der Dokumentarfilm sei eigentlich ein „viel komplizierteres Genre“, als diese Filme vermitteln. „Es wäre schade, wenn die Dokumentarfilmer sich zukünftig rechtfertigen müssten“, wenn ihre Filme nicht ähnliche Kassenerfolge wie Moores Streifen werden. Dennoch werde Moore eine stärkere Auswirkung auf das Fernsehen, wo es um punktuelle Einschaltquoten geht, als auf das Kino haben. Es sei jedoch „sicher nicht abträglich“, wenn ein Dokumentarfilm seinem Genre „so viel Aufmerksamkeit bringt“.

“War beeindruckt und berührt”


Diagonale-Intendantin Birgit Flos hat sich zuerst „vor dem Film – und seinem Erfolg – gefürchtet, weil mir die Texte von Michael Moore, vor allem in der Übersetzung, einfach zu populistisch sind“, war dann jedoch von „Fahrenheit 9/11“ „beeindruckt“ und „berührt“: Sie habe den Film weder in „seiner Argumentation als zu polemisch“ noch – im zweiten Teil – als „unzulässig larmoyant“ empfunden, schilderte Flos im Gespräch mit der APA. „Das hat alles Hand und Fuߓ, so Flos, die von Moore recherchierten Zusammenhänge seien „verblüffend“ und von anderen „seriösen“ Medien immer wieder bestätigt worden.


„Ein agitatorischer Film ist für mich an sich nichts Böses“, so Flos zur mancherorts geäußerten Kritik an Moores Herangehensweise. „Das ist ein Film, der seine Haltung und seine Propaganda-Werkzeuge im besten Sinn offen legt“. Flos lobte die filmische Behandlung der Terroranschläge, die Moore nur über Klangeindrücke und die Gesichter von Augenzeugen spiegelt. „Moore verzichtet darauf, diese inflationär verwendeten Bilder noch einmal zu zeigen“. Auch die Eindrücke aus dem Irak seien gelungen: „Selbst in sehr guten Filmen über Vietnam – wie etwa Peter Davis’ ’Hearts and Minds’ – war die Not dieser jungen amerikanischen Soldaten nicht so präsent, die einfach nicht wissen, worauf sie sich da eingelassen haben, sich in ihren Panzern mit Musik zudröhnen und aus Angst auf alles schießen, was sich bewegt“.


Während Flos hofft, dass der Streifen in den USA „unentschlossene Wähler zumindest für die anstehende Präsidentenwahl aufrüttelt“ und in den Köpfen u.a. die fixierten, aber „völlig unbelegten“ Verknüpfungen etwa zwischen Irak und Osama bin Laden aufbricht, hat sie Sorge, dass in Österreich und Deutschland der Film auch „simplem America-Bashing“ dienen könnte. „Es besteht die Gefahr, dass das Publikum sich in seinem Vorurteil bestätigt fühlt: so blöd sind die Amis – ohne zu bedenken, dass es in den USA eine starke dissidente Szene gegen Bush und den Irak-Krieg gibt“.


„Größte Bedenken“ hat Flos allerdings hinsichtlich des Einflusses von Moores Streifen auf die Erwartungen, die in Zukunft in einen Dokumentarfilm gesetzt werden. „Moores Arbeit ist ein filmisches Pamphlet, das seine volle Berechtigung hat, das aber in seinen Strategien nicht endlos wiederholt werden kann“. „Es besteht die berechtigte Sorge vor einer ’Ver-Moore-isierung’ des Doku-Filmschaffens – die mit starrem Blick auf mögliche Besucherzahlen und Einschaltquoten die Realisierung von weniger publikumswirksamen Arbeiten erschweren könnte. Man muss aufpassen, dass dies nicht die zukünftige Latte für Dokumentarfilme wird“. Flos hofft, dass der Erfolg von „Fahrenheit 9/11“ dazu beitragen wird, dass „mehr finanzielle Mittel in andere komplexe, sperrige und riskante Dokumentarfilme fließen und dass allgemein die Neugier und Sensibilität für gesellschaftliche Zusammenhänge aktiviert wird.“

“Propaganda für mündige Bürger”


„Ein gut funktionierender Propagandafilm für mündige Bürger. Man merkt, wie leicht man selber manipulierbar ist“, meinte der Dokumentarfilmer Nikolaus Geyrhalter („Elsewhere“, „Pripyat“, „Das Jahr nach Dayton“), nachdem er gemeinsam mit der APA den Film „Fahrenheit 9/11“ erstmals gesehen hatte. Der Streifen sei „der ultimative Michael Moore-Film. Das wird er selber schwer toppen können. Das richtige Thema zum richtigen Zeitpunkt“, so Geyrhalter, dem der Film insgesamt gut gefallen hat und der die „gewagt humorvolle Art“ Moores würdigte.


Zwar sei der Film „formal nichts Neues“, jedoch seien Moores Filme „fast schon ein eigenes Genre“. Der Bush-kritische Streifen erfüllt „fast zu genau das, was die Besucher sich von seinen Filmen erwarten.“ „Der große Aufhänger des Films, die Zusammenhänge zwischen den Familien Bush und Bin Laden, bleibt mehr oder weniger im Dunkeln“, kritisierte Geyrhalter. „Viel wertvollere Momente sind manche Details, wie die Minuten, in denen George Bush mit dem Kinderbuch in der Hand minutenlang um eine Reaktion auf die Nachricht der Attentate ringt, oder die Rekrutierung der Soldaten vor der Shopping Mall.“ „Historische Dokumente“ seien auch die Beobachtungen aus dem Irak-Krieg, „wie die Jungs Walkman hören beim Panzerangriff.“


„Fahrenheit 9/11“ sei ein „für Amerika gemachter Film, der wunde Punkte in Amerika trifft. Hier in Europa wird die kontroversielle Diskussion schon viel länger geführt.“

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