Die Staats- und Regierungschefs haben am Freitag auf dem Gipfel in Brüssel einen Vorschlag des österreichischen EU-Ratsvorsitzes mehrheitlich abgelehnt. Den am Donnerstag vorgelegten Zeitplan für die weitere Diskussion über die EU-Verfassung haben die Länder angenommen, ebenso wie die Aufnahme Sloweniens in die Eurozone. Außerdem einigten sich die EU-Chefs darauf, dass künftig die meisten Ministerberatungen im Internet oder über Bildschirm öffentlich übertragen werden sollen.
Das Wort Kriterium ist (aus den Schlussfolgerungen, Anm.) entfallen, sagte der EU-Ratsvorsitzende, Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, am Freitag nach Ende des EU-Gipfels in einer Pressekonferenz. Die EU-Kommission wird im Herbst einen Bericht über die Definition der Aufnahmefähigkeit der Union vorlegen. Als Kriterien hat die EU bisher nur politische Bedingungen wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, wirtschaftliche wie eine funktionsfähige Marktwirtschaft und die Fähigkeit, den EU-Rechtsbestand zu übernehmen, definiert.
Der französische Staatspräsident Jacques Chirac, der ursprünglich die Verschärfung der Erweiterungsbedingung unterstützte, rückt letztlich davon ab. Vor Journalisten drängte er zwar weiter auf eine Debatte über die Aufnahmefähigkeit, es gehe aber nur darum Bewusstsein für die Konsequenzen der Erweiterung zu schaffen und nicht um ein neues Kriterium, sagte er vor Journalisten.
Bekräftigt haben die EU-Staats- und Regierungschefs die europäische Perspektive für die westlichen Balkanstaaten. Serbien sicherten die EU-Chefs die Wiederaufnahme der Verhandlungen über ein Annäherungsabkommen zu, sobald Belgrad mit dem UNO-Kriegsverbrechertribunal voll zusammenarbeite. Die Verhandlungen wurden ausgesetzt, nachdem der mutmaßliche Kriegsverbrecher Radko Mladic noch immer nicht nach Den Haag überstellt wurde.
Deutliche Worte fanden die EU-Staats- und Regierungschef für die Türkei: Während die EU-Chefs in Brüssel tagten, hat der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan am Freitag in einer Rede im türkischen Fernsehen erneut die Öffnung der Häfen und Flughäfen des Landes für Schiffe und Flugzeuge aus Zypern abgelehnt. Die EU-Chefs haben die Türkei einstimmig aufgefordert, bis Jahresende wie vereinbart das so genannte Ankara-Protokoll umzusetzen. Wenn sie das nicht tut, stellt sie selbst ihre Fähigkeiten zur Weiterführung der Beitrittsverhandlungen in Frage, sagte Chirac.
Eine österreichischen Initiative zur stärkeren Öffnung der EU-Ministerratsitzungen wurde beim Gipfel angenommen. Wegen Bedenken von Großbritannien, Slowenien und Luxemburg wurde allerdings vereinbart, die Wirkung der Live-Kameras nach sechs Monaten zu überprüfen. Wir probieren es einfach, dass wir das Haus Europa durchlüften, sagte Schüssel.
Slowenien kann nach einem Gipfelbeschluss als 13. Mitglied der Eurozone am 1. Jänner 2007 die Gemeinschaftswährung einführen. Das ist ein sehr wichtiges Symbol, so Schüssel. Erstmals werde damit ein neuer Mitgliedstaat Teil der Währungsunion. Verwirrung gab es über eine Erklärung von fünf Ländern um Litauen, die eine Diskussion über das Inflationskriterium zur Euroeinführung forderten. Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso sagte, man habe die fünf überzeugen können, dass diese Erklärung nicht hilfreich gewesen wäre.