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Karl der Große im Bestand

©VN/Matt
In St. Gallen liegen kostbarste Urkunden. Peter Erhart hütet sie.

Dass die St. Galler den Satteinser Historiker Peter Erhart zum Stiftsarchivar gewählt haben, ist schon eine kleine Sensation. Lagert doch im bombensicheren Bunker der ehemaligen Benediktiner­abtei eines der wertvollsten Archive der Welt. Zehntausende Urkunden dokumentieren den Zeitraum von 720 bis 1805. Erhart braucht nur die Stahlbetontür aufzusperren und kann tun, was er im Wiener Institut für österreichische Geschichtsforschung drei Jahre lang erlernt hat: Quellen lesen.

Neuigkeiten von damals

So erfährt er im schwarz gesiegelten Brief von Kaiserin Maria Theresia 1740, dass ihr Vater eben verstorben ist. Der Staufer Friedrich II. teilt mit, dass er eine Vogtei zu übernehmen gedenkt. Das dicke, bräunliche Siegel aber hat Karl der Große eigenhändig ins Wachs gedrückt. „So nah kommen Sie dem Frankenkaiser nie wieder.“ Den eigentlichen Schatz des Klosterarchivs machen 800 Urkunden aus der Zeit von 720 bis 920 aus. Es ist „der größte Bestand dieser Art nördlich der Alpen“. Deshalb zögerte der Vorarlberger Historiker auch nicht, als ihn in Rom die Nachricht von der St. Galler Stellenausschreibung erreichte. Er machte unter 50 Bewerbern das Rennen. In den Klöstern dieser Welt wurden Urkunden im 9. und 10. Jahrhundert in sogenannte Traditionsbücher abgeschrieben. Damit aber verloren die Originale an Wert und gingen irgendwann verloren. Ausgerechnet die 1805 aufgelassene Benediktinerrabtei St. Gallen hat die meisten Urkunden der Welt gerettet, weil die Mönche einen anderen Weg beschritten haben. „Sie haben die Original-Urkunden nach geografischen Gesichtspunkten archiviert.“ Schließlich galt es Grundbesitz und Rechtsgeschäfte eines Landstrichs mit einem Radius von 300 Kilometern zu bewahren. „Hier“, sagt Erhart, und wendet sich den Schränken zu, „lagert das Gedächtnis des Landes.“

Zeugen der Diplomatie

Und das bedredte Zeugnis der hohen Diplomatie der Äbte, deren glänzender Vertreter Coe­lestin Gugger von Staudach etwa aus Feldkirch stammte. Da berichtet der König von Neapel dem St. Galler Abt getreulich von jeder Kindsgeburt. Ludwig XIV. nennt den geistlichen Empfänger in St. Gallen ganz familiär „mon cousin“. Von Regimentern in Spanien und Italien ist mitunter die Rede, die der Abt von St. Gallen ins Feld schickt.

Neapel sehen und sterben

So lange er dieses Archiv leitet, wird Peter Erhart wieder und wieder Entdeckungen machen. So wie er zuletzt den ältesten Beleg eines Ausspruches entdeckt hat, der bis dato gerne Goethe unterschoben wurde. Im Original hat ihn Pater Lukas in seinem Reisetagebuch 1700 festgehalten. „Zwei Mönche waren nach Rom gereist, um dort das Doktorat zu erlangen und im Jubeljahr 1700 beim Beichthören auszuhelfen“, damit die Ablässe rascher unters Volk kommen. Die beiden waren aber auch touristisch unterwegs und haben sich in Italien gründlich umgesehen. Im Süden notiert Pater Lukas, „was das Volk zu sagen pflegt: Broccoli essen, Neapel sehen und dann sterben.“

zur Person

Peter Erhart Der Satteinser leitet in St. Gallen seit April eines der ältesten und bedeutendsten Archive der Welt. Geboren: 16. Oktober 1973 in Feldkirch Ausbildung: Geschichte- und Französischstudium in Wien und Rom Laufbahn: seit 2002 im Stiftsarchiv St. Gallen Familie: verheiratet, zwei Kinder

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