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Kanzler Nehammer einstimmig zu ÖVP-Parteiobmann gewählt

Bundeskanzler Karl Nehammer wurde am ÖVP-Parteitag in Graz mit großer Mehrheit zum Parteiobmann gewählt.
Bundeskanzler Karl Nehammer wurde am ÖVP-Parteitag in Graz mit großer Mehrheit zum Parteiobmann gewählt. ©APA/ERWIN SCHERIAU
Beim ÖVP-Parteitag am Samstag wurde Bundeskanzler Karl Nehammer einstimmig zum Bundesparteiobmann gewählt.
Nehammer lässt sich bei Parteitag zu ÖVP-Obmann wählen

Die Volkspartei hat Karl Nehammer mit dem größtmöglichen Vertrauen nun auch offiziell zu ihrem Parteichef gekürt: Beim Bundesparteitag in Graz erreichte er Samstagnachmittag das ungewöhnliche Ergebnis von 100 Prozent. Er nahm die Wahl "mit Stolz und Dankbarkeit" an. Dies sei "erst der Anfang", meinte er mit Blick auf eine auch künftige Kanzlerschaft. Davor hatten prominente Parteifreunde - darunter auch sein Vorgänger Sebastian Kurz - die Werbetrommel für ihn gerührt.

Programmatische Rede Nehammers zur Wahl als Parteiobmann

Ein hohes Ergebnis für Nehammer war allein schon deshalb erwartet worden, weil die ÖVP bei ihren Obmann-Wahlen traditionell großzügig ist. Dass aber alle 524 abgegebenen Stimmen auf Nehammer entfallen, überraschte wohl alle Beobachter. Ein 100-Prozent-Ergebnis beim Erstantritt gab es noch nie. Leopold Figl und Julius Raab schafften dieses Kunststück allerdings bei ihrem jeweils zweiten Antreten, und zwar 1947 bzw. 1954. Über eine Stunde nach Verkündung des Ergebnisses war Nehammer immer noch nicht fertig, Glückwünsche auf der Bühne entgegenzunehmen.

Kanzler Nehammer einstimmig zu ÖVP-Parteiobmann gewählt

Die Vorzeichen des Parteitags waren eigentlich keine guten gewesen: Eine Parteifinanzen-Affäre der Vorarlberger ÖVP, schlechte Umfragewerte, der laufende ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss, die Kritik an seiner Reise zum russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin und die Affäre um betrunkene Cobra-Personenschützer im Umfeld der Kanzlerfamilie dominierten die Schlagzeilen. Als Zuckerguss musste Nehammer außerdem just ein paar Tage vor dem Event Personallöcher in seinem Regierungsteam stopfen. Die enge Kurz-Vertraute Elisabeth Köstinger, die mit ihrem Rücktritt als Landwirtschaftsministerin die Rochade begonnen hatte, war beim Parteitag in Graz bestens gelaunt dabei.

Und auch sonst war die Stimmung betont gut - trotz Protesten von Tier- und Umweltschützern vor der Tür. Die schwarzen Wände der Helmut-List-Halle wurden mit rot-weiß-rot und türkis bedacht, der stickige Saal war mit laut Parteiangaben rund 1.300 Gästen so gut gefüllt, dass nicht alle einen Sitzplatz fanden. Nehammer riss ohnehin schon bei der Begrüßung alle Funktionäre vom Hocker - der Partei war offenbar klar, dass es nach den letzten schwierigen Monaten galt, Einigkeit zu demonstrieren. Mehrere Redner - vom steirischen Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer bis zu Klubobmann August Wöginger - bereiteten die Stimmung für Nehammer auf.

Nehammer übernimmt Ruder der Partei in turbulenten Zeiten

Die Aufregung im Vorfeld, dass auch Nehammers Vorgänger Kurz das Wort ergreifen wird, wurde dahingehend entschärft, dass Kurz gemeinsam mit dem früheren Parteichef Wolfgang Schüssel auf der Bühne vom Moderator interviewt wurde. "Ratschläge gibt es von mir nicht, vor allem nicht öffentlich", versicherte Kurz. Unmittelbar vor seiner Rede schrieb er dann seinem Nachfolger ein aufmunterndes SMS - "keine Sorge, wir werden es nachher veröffentlichen", feixte Nehammer.

Der 49-Jährige hatte die Partei im Dezember übernommen, als sich Kurz, gegen den unter anderem in der Inseratenaffäre ermittelt wird, aus der Politik zurückgezogen hatte. Nehammer berichtete in seiner Rede, die dann doch eine ganze Stunde dauerte, von stürmischen Zeiten, doch man sitze auch bei rauem Sturm gemeinsam in einem Boot. Die Opposition kämpfe mit allen Mitteln: "Es gibt ganz viele Angriffe unter der Gürtellinie - und wisst's, warum das ist? Weil sie es auf Augenhöhe nicht schaffen." Aus dem Gegenwind könne aber auch wieder Rückenwind werden, jede Veränderung biete auch Chancen.

Nehammer widmete sich dem "wertefundament" der ÖVP

Der Parteichef widmete sich dem "Wertefundament" der ÖVP und verglich dabei die Haltung seiner Gesinnungsgemeinschaft mit dem heiligen Martin, der der Legende nach einem Armen geholfen hatte. "Er hat seinen Mantel geteilt, nicht den eines anderen", denn letzteres, "das ist Sozialismus". Im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine bekannte sich Nehammer zur Neutralität und unterstrich die Notwendigkeit eines starken Bundesheers. Zum Ausstieg aus der Abhängigkeit aus fossilen Energien versprach er einen milliardenschweren Transformationsfonds. Auch weitere Antiteuerungsmaßnahmen werde es geben.

Seitens der Opposition fiel die Einschätzung von Nehammers Ansagen erwartungsgemäß negativ aus. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch ortete laut einer Aussendung Durchhalteparolen, Realitätsverweigerung und Lügen, Nehammer fehle jeglicher Bezug zu den Menschen. Ähnlich abschätzig äußerte sich FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz. Die Kür zum Bundesparteiobmann "wird Nehammers letzter Wahlerfolg gewesen sein", orakelte er.

Nehammer gilt als Musterveispiel eines loyalen Parteisoldaten

Nehammer ist nicht nur Oberleutnant, sondern gilt auch als Musterbeispiel eines loyalen Parteisoldaten. So dürfte der damalige Innenminister vergangenen Dezember auch nicht lange gezögert haben, als es darum ging, den Karren aus dem Dreck zu ziehen und an die Spitze der Partei aufzurücken. Nach den aufreibenden Wochen im Herbst, in denen der einst innerparteilich so verehrte Sebastian Kurz im Lichte der Inseratenaffäre zunächst einen Schritt zur Seite tat und sich schließlich ganz zurückzog, erfüllte Nehammer schlicht Kriterien wie ausgezeichnete Kenntnis der Partei und Rückhalt in der mächtigen niederösterreichischen Landesgruppe.

Bundeskanzler ist Wiener mit politischer Sozialisation in NÖ

Eigentlich ist er Wiener, politisch sozialisiert wurde Nehammer aber in der niederösterreichischen Volkspartei. Auch wenn die schwarzen Länder nun offenbar wieder mehr Gewicht haben als unter Kurz, bleibt die Bundespartei unter Nehammer dennoch türkis. Dass sich die Partei mit Nehammer an der Spitze klar von den Kurz-Türkisen abgegrenzt habe, ist durchaus eine geschickte Erzählung - die aber nicht ganz den Tatsachen entspricht.

Kurz-Mitstreiter verabschiedeten sich kurz vor ÖVP-Parteitag

Zwar haben sich einige Kurz-Mitstreiter, zuletzt ausgerechnet kurz vorm Parteitag Elisabeth Köstinger, mittlerweile aus der Politik verabschiedet. Andere sind aber bloß in den Hintergrund getreten und werken aus der zweiten Reihe weiter, zudem stammt auch Nehammers Kabinettschef aus dem alten Kurz-Team. Und auch Nehammer selbst ist eigentlich ein richtiger Türkiser: Es war die Kurz-Partie, die den bis dahin weitgehend unbekannten Nehammer 2018 zum Generalsekretär der Bundespartei machte und damit in die Spitzenpolitik holte.

Nehammer soll nie innerstem Zirkel um Kurz angehört haben

Auch wenn er nie dem innersten Zirkel um Kurz angehörte, ging der Aufstieg für den zackigen, aber leutseligen ÖAABler dann recht rasch: Im Jänner 2020 wurde Nehammer Innenminister. In seine Amtszeit fiel etwa der Terroranschlag in Wien, wobei die Opposition ihm die Ermittlungspannen im Vorfeld vorwirft. Bei der Zuwanderung verfolgte Nehammer den restriktiven ÖVP-Kurs weiter, präsentierte sich im Ton aber moderater.

Musste er sich als Innenminister in der Corona-Pandemie vor allem mit unangenehmen Demonstrationen von Maßnahmen-Gegnern herumärgern, war er dann plötzlich Anfang Dezember mit seinem Aufstieg zum Bundeskanzler und Chef der von Korruptionsvorwürfen gebeutelten ÖVP oberster Krisenmanager. Zum Start baute Nehammer die Regierungsmannschaft ein wenig um und holte etwa den Niederösterreicher Gerhard Karner als Innenminister ins Team.

Schwer zu sagen, wofür Karl Nehammer steht

Wofür Nehammer steht, ist schwer zu sagen - um inhaltlich eigene Akzente zu setzen, gab es bisher wenig Platz. Die Partei bekommt durch den laufenden ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss permanent Saures, zuletzt kochte auch noch eine Parteienfinanzierungs-Affäre in der Vorarlberger ÖVP hoch. Und über die (Partei-)Grenzen hinaus gesellte sich zur Pandemie mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine rasch eine neue Krise. Zwar versucht sich Nehammer ähnlich wie sein Vorgänger durchaus in der Inszenierung und sorgte weltweit mit einem Besuch beim russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin für Schlagzeilen - allerdings auch für viele negative.

Seine jüngste Ansage, darüber nachzudenken, wie Gewinne von Firmen mit Staatsbeteiligung, die überproportional von der Krise profitieren, gesetzlich abgeschöpft werden können, erschreckte zwar durchaus klassisches ÖVP-Klientel, dürfte aber weniger einer inhaltlichen Weichenstellung als vielmehr Nehammers impulsiver Art geschuldet gewesen sein. Überhaupt tritt Nehammer im Gegensatz zu seinem ausnehmend beherrschten Vorgänger oft emotional auf, etwa bei einer überstürzten Pressekonferenz, bei der es um den Vorwurf ging, Cobra-Personenschützer hätten sich mit seiner Ehefrau betrunken.

Kanzlergattin spielt auch im Berufsleben eine wichtige Rolle

Die Idee zu solchen Auftritten wird übrigens nicht selten seiner Frau Katharina zugerechnet - denn die Kanzlergattin spielt auch im Berufsleben des Familienmenschen Nehammer ein größere Rolle, als manchen im Team lieb ist. Die selbstbewusste PR-Expertin soll im Kanzleramt ein- und ausgehen und eine wichtige Beraterin ihres Mannes sein. Wohin Nehammer die türkis-schwarze Familie führt, wird sich erst weisen.

Zur Person: Karl Nehammer, geboren am 18. Oktober 1972 in Wien, verheiratet, zwei Kinder. 2016-2018 Generalsekretär des ÖAAB, seit 2017 Abgeordneter zum Nationalrat, von 2018 bis 2020 Generalsekretär der ÖVP. Ab Jänner 2020 Innenminister. Seit Dezember 2021 Bundeskanzler.

(APA/Red)

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