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Kanada vor politischem Wechsel

Noch vor wenigen Wochen wurde Stephen Harper fast ausgelacht, wenn er sich als der künftige Premierminister des zweitgrößten Landes der Erde vorstellte.

Viel zu fest schienen Kanadas Liberale im Sattel zu sitzen, als dass der 45-jährige Hoffnungsträger der Konservativen den 20 Jahre älteren Regierungschef Paul Martin ablösen könnte.Doch nach elf Jahren Alleinherrschaft der Liberalen Partei sind die Verhältnisse kurz vor den Parlamentswahlen am 28. Juni ins Wanken geraten. Sollte sich der Umfragetrend bestätigen, könnte es in Kanada einen politischen Gezeitenwechsel geben.

Auswirkungen hätte ein Sieg der Konservativen durchaus nicht nur für Kanada selbst. Ähnlich wie die Regierung von George W. Bush im Nachbarland USA will Harper den Rückzug vom Klimaschutzprotokoll von Kyoto durchsetzen, das die Liberalen im letzten Jahr gegen den Willen weiter Teile der Wirtschaft ratifizierten. Wenn Kanada aussteigt, so befürchten Umweltschützer, wird der für das Inkrafttreten des Abkommens wichtige Beitritt Russlands in noch weitere Ferne rücken.

Die Folgen eines politischen Klimawechsels in Ottawa könnten auch auf anderen Feldern der internationalen Politik spürbar werden. Martins populärer Amtsvorgänger Jean Chretien hatte den USA trotz starker wirtschaftlicher Abhängigkeit nicht nur beim Irak-Feldzug, sondern auch bei Washingtons Kampf gegen den Internationalen Strafgerichtshof (IStGh/ICC) die Gefolgschaft versagt. Kanadas Tories würden auch auf der Bühne der Vereinten Nationen für eine Wiederannäherung an die USA sorgen.

Vor allem beherrschte jedoch die Sozial- und Wirtschaftspolitik den Wahlkampf. Dass die Kanadier vor einer Richtungsentscheidung stehen, hatte Martin schon unmittelbar nach dem Ansetzen der vorgezogenen Neuwahlen verkündet: Die Wähler könnten „ein Land wie Kanada behalten oder ein Land wie die USA bekommen”.

Dem Herausforderer warf der Premier vor, vollkommen im Wind der US-Neokonservativen zu segeln. Doch die Umfragen, von denen manche den Konservativen gar eine klare absolute Mehrheit der Parlamentssitze voraussagten, machten deutlich, dass immer weniger Kanadier das „Bush-Amerika” als Schreckgespenst empfinden.

Harper warb mit Steuersenkungen, wie Bush sie in den USA durchsetzte. Kanadas Sozialsystem, das weit mehr Schutz bietet als das dürftige Nothilfenetz in den USA, will Harper kräftig reformieren. Für viele der 22 Millionen wahlberechtigten Kanadier – die weitaus meisten leben in dem rund 200 Kilometer breiten Gürtel entlang der Grenze zu den USA – ist die Vorstellung von weniger Steuern und weniger Staat durchaus attraktiv.

Zudem geht vielen im eher konservativen Westen Kanadas die Zulassung so genannter Homo-Ehen und die weitgehende Entkriminalisierung des Marihuana-Gebrauchs zu weit. Und nicht nur Konservative ärgern sich über „liberale Vetternwirtschaft”. So offenbarte der Rechnungshof, dass lukrative staatliche Aufträge für Werbagenturen, die in der frankophonen Provinz Quebec die Trommeln für die Einheit Kanadas rühren sollten, an regierungsnahe Firmen flossen.

In erster Linie kommt dem rechten Lager aber zu Gute, dass es endlich seine Spaltung in zwei Parteien überwunden und sich zur Konservativen Partei vereint hat. Wenn sie am 28. Juni nicht die absolute Mehrheit der 308 Parlamentssitze bekommt, könnte sie durchaus als stärkste Kraft mit Unterstützung des nur in Quebec antretenden Bloc Quebecois eine Minderheitsregierung bilden.

Der jetzige Parteichef Harper konnte sich im April bei parteiinternen Wahlen gegen Belinda Stronach, Tochter des aus Österreich ausgewanderten Magna-Gründers Frank Stronach, durchsetzen.

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