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Kanada: Regierung übersteht Misstrauensvotum

Mit nur einer Stimme Mehrheit hat die in einen Korruptionsskandal verwickelte kanadische Minderheitsregierung am Freitag ein Vertrauensvotum über den Staatshaushalt gewonnen.

Parlamentspräsident Peter Milliken gab die entscheidende Stimme ab, nachdem sich bei dem Votum am Donnerstagabend im Parlament in Ottawa jeweils 152 Abgeordnete für und gegen die Regierung ausgesprochen hatten. Premierminister Paul Martin rief nach der Abstimmung zu Einigkeit auf. Dem Votum vorausgegangen war ein wochenlanger Streit über einen seit Jahren schwelenden Korruptionsskandal. Im Falle eines Scheiterns der Regierung wären Neuwahlen nötig geworden.

Martin hatte für das Votum die Neue Demokratische Partei (NPD) hinter sich bringen können, indem er ihnen beim Haushalt Zugeständnisse machte. Zudem hatte er sich die Unterstützung einiger konservativer und unabhängiger Abgeordneter gesichert. Der Konservativen Belinda Stronach – Tocher des Magna-Steyr-Chefs, die erst knapp zuvor die Partei gewechselt hatte – gab er einen Posten im Kabinett. Nachdem ein Patt herauskam, gab Milliken, der der liberalen Regierungspartei angehört, die entscheidende Stimme ab. Nach Ansicht von Experten war dieser Vorgang einmalig in der Geschichte Kanadas.

„Die Regierung respektiert die Tatsache, dass die Abstimmung sehr knapp war. Das ist eigentlich noch untertrieben“, sagte Martin nach der Abstimmung. „Nun müssen wir im Geiste der Zusammenarbeit nach vorne schauen.“ Bei der Wahl sei es um mehr gegangen als nur um den Haushalt des Landes. „Es ging um eine Vision von Kanada. Es ging um eine Perspektive für das Land“, sagte der Premier. Für den Fall einer Niederlage hatte Martin Neuwahlen für den Sommer angekündigt. Diese hätten Beobachtern zu Folge das nach Unabhängigkeit strebende Lager in der französischsprachigen Provinz Québec stärken können.

Der Chef der Konservativen, Stephen Harper, kritisierte das Abstimmungsergebnis. „Als Föderalist und englischer Kanadier bin ich beschämt und bedaure zutiefst, dass unser Parlament heute abend beschlossen hat, sein Vertrauen weiter in eine korrupte Partei zu setzen“, sagte er. Harper äußerte die Befürchtung, der Korruptionsskandal könne die französischsprachigen Kanadier dem englischsprachigen Teil entfremdet haben.

Im Zentrum des Skandals steht der ehemalige liberale Regierungschef Jean Chrétien, der zwischen 1995 und 2002 Aufträge in Millionenhöhe an Werbeunternehmen in der französischsprachigen Provinz Québec vergeben ließ. Mit PR-Kampagnen wollte Chrétien die nationale Einheit des Landes stärken. Laut Harper war das ein Versuch der Liberalen, sich die Loyalität der Québecer zu erkaufen. Nach den Streitigkeiten der vergangenen Wochen hat die Unabhängigkeitsbewegung in Québec jetzt seit zehn Jahren zum ersten Mal wieder mehr Zulauf. Der Skandal kostete die seit zwölf Jahren regierenden Liberalen jedoch bei der Wahl im vergangenen Jahr die absolute Mehrheit im Parlament.

Die Affäre sorgte erst kürzlich bei einer Gerichtsverhandlung wieder für Aufsehen, als Werbeunternehmer von Geldübergaben in Umschlägen, gefälschten Quittungen und Gehaltszahlungen an fiktive Angestellte berichteten. Der erst seit Dezember 2003 regierende Martin macht geltend, er habe mit der Sache nichts zu tun gehabt.

Die Konservativen hatten bereits zuvor signalisiert, dass sie das Ergebnis der Abstimmung anerkennen und bei einem Sieg Martins darauf verzichten wollen, weiter den Sturz der Regierung zu betreiben. Eine deutliche Mehrheit der Kanadier hat sich ohnehin gegen eine Neuwahl zum jetzigen Zeitpunkt ausgesprochen. Und Martin hat bereits angekündigt, er werde eine Wahl binnen 30 Tagen nach Vorlage des für Ende des Jahres erwarteten Abschlussberichts der Untersuchungskommission anberaumen.

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