Jugendkriminalität: Fachleute strikt gegen Camps
Jugendliche müssten in die Gesellschaft integriert werden, mit ausreichend Arbeitsplätzen, guter Integration von Migranten – “und nicht ausgesondert werden und nach Sibirien geschickt”, sagte die Geschäftsführerin von Neustart, Karin Waidhofer, am Freitag gegenüber der APA.
Die Rahmenbedingungen wie Arbeitslosigkeit und mangelnde Integration von Migranten machten es speziell Jugendlichen schwer. “In diesem Bereich sollten Maßnahmen gesetzt werden – und das sind nicht Maßnahmen, wo man Jugendliche nach Sibirien in Camps schickt”, hielt Waidhofer der ÖVP entgegen. Sie pocht auf die Verantwortung der Gesellschaft: “Das Problem liegt nicht im Jugendlichen, sondern in unserer Gesellschaft.” Also gehe es darum, Maßnahmen zu finden, “damit Jugendliche gut unter uns leben können”. Das bedeute “hinzuschauen und nicht wegzuschauen und sie in solche Camps zu schicken”.
Auch eine Verschärfung des Jugendstrafrechts hält Waidhofer nicht für nötig: “Wir haben in Österreich ein sehr gut funktionierendes Strafrecht für Jugendliche.” Sie begrüßt auch die durch das Haftentlastungspaket gegebene Möglichkeit, sehr rasch Bewährungshilfe zuzuweisen. Neustart ist seit seiner Gründung im Bereich Jugendkriminalität tätig – und wurde sogar als Bewährungshilfe-Organisation für Jugendliche gegründet.
“Sie werden hierzulande keinen Fachmann finden, der dafür ist”, sagte der frühere Präsident des – 2002 von Schwarz-Blau aufgelösten – Jugendgerichtshofes Udo Jesionek im “Standard” (Freitag-Ausgabe) zu den Erziehungscamps. Es stimme nicht, dass Gewaltsituationen erzieherisch wirken. Es gebe durchaus sinnvolle Maßnahmen für Jugendliche – etwa Outdoor-Therapien (also Verhaltenstherapien in freier Natur). Dafür fehle aber das Geld. “Die vorige Regierung hat überall eingespart. Sie hat den Jugendgerichtshof aufgelöst, die Bewährungshilfe reduziert, die Sozialarbeiter reduziert. Da macht man das ganze soziale Netz kaputt, und dann wundert man sich, dass die Kriminalität größer wird”, beklagte Jesionek. Auch er ist gegen schärfere Strafen – und fordert stattdessen, “sich zu überlegen, wie man die Wurzeln anpacken kann”.
Arno Pilgram, Leiter des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie, hält eine härtere Gangart gegen jugendliche Straftäter für “kontraproduktiv”. Das ist eine populistische Debatte, meinte Pilgram gegenüber dem Standard – und fragte: “Was soll das heißen für die Zukunft? Uni für die einen, Camps für die anderen?” Die ÖVP hat am Donnerstag bei ihrer Jahresauftaktklausur in Gmunden – angelehnt an die aktuelle Diskussion in Deutschland – das Thema Jugendkriminalität aufs Tapet gebracht. Unter Leitung von Generalsekretär Hannes Missethon wollen sich ÖVP-Delegationen “Trainingscamps” für straffällig gewordene Jugendliche im Ausland anschauen und Best-Practice-Modelle von “erfolgreichen Erziehungscamps” eruieren.