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Jake Gyllenhaal und Jason Clarke im Interview: "Jeder will Frieden finden"

Everest-Darsteller im Interview
Everest-Darsteller im Interview ©Joel Ryan/Invision/AP
Die Schauspieler Jason Clarke und Jake Gyllenhaal verkörpern in Baltasar Kormakurs Bergsteigerdrama die beiden Bergführer Rob Hall und Scott Fischer, die - wie sechs weitere Menschen -im Mai 1996 bei einem verheerenden Sturm am Mount Everest ums Leben kamen.

Darüber, warum sich Menschen Jahr für Jahr auf den höchsten und gefährlichsten Berg der Welt wagen, wie schwer die Verantwortung gegenüber realen Schicksalen wiegt und wie sie ihre Figuren zu fassen bekommen haben, sprachen Clarke und Gyllenhaal in Venedig.

“Everest” wurde größtenteils tatsächlich am Berg gedreht, sowohl im Himalaja als auch in Val Senales in den Dolomiten. Bringt einen das an die eigenen Grenzen?

Jason Clarke: Es ist schon vorgekommen, dass wir um vier Uhr morgens aufgestanden sind, nur einen Tee getrunken haben und dann drei Stunden gewandert sind, um zu einer Location zu kommen, bevor die Sonne aufgeht – und das auf bis zu 4.800 Höhenmetern. Aber die Erfahrung war einmalig, und wir haben sie genossen! Wir haben zusammen gewohnt, zusammen gegessen, sind gemeinsam durch den Schnee gejagt. Es war eine gute Zeit. Einer dieser tollen Filme, wo man immer beisammen ist.

Wie weit ging es für Sie am Mount Everest tatsächlich hinauf?

Clarke: Wir haben chronologisch gedreht, sind also erst nach Kathmandu geflogen und von dort aus Richtung erstes Basislager aufgestiegen. Kurz darunter haben wir gedreht, aber einmal bin ich im Helikopter zum Basislager hinaufgeflogen. Da oben kann es innerhalb von zwei Minuten plötzlich komplett weiß sein, alles ist dann bedeckt von Schnee. Das war wunderschön.

Jake Gyllenhaal Michael Kelly Josh Brolin

Wenn man schon so weit gekommen ist, reizt einen da der Gipfel?

Clarke: Im Helikopter ging es auf fast 7.000 Meter hinauf, dort habe ich die Tür aufgemacht, der Pilot hat sich die Sauerstoffmaske umgeschnallt und ich habe rausgeschaut und unter mir das Tal des Schweigens gesehen – kristallklar, wunderschön. Und habe gesagt: “Lass mich hier raus.” (lacht) Aber da wäre ich innerhalb von zehn Minuten gestorben. Aber wer weiß, vielleicht eines Tages…

Können Sie die Faszination, die den Mount Everest umgibt, dennoch nachvollziehen?

Clarke: Oh ja! Man spürt schon die Anziehungskraft.

Jake Gyllenhaal: Aber die Vorstellung ist üblicherweise ja verlockender als die Realität.

Haben Sie für sich eine Antwort auf die Frage gefunden, was diese Menschen trotz der harten Bedingungen auf den Gipfel zieht?

Gyllenhaal: Ich finde es frustrierend, vor allem im Kino, dass jeder immer das “Warum” wissen will. Ich glaube zwar an Strukturen, an Antworten, aber eine Auflösung in Form eines “Warum” können manche Menschen einfach nicht benennen. Jeder von uns spürt eine Art Berufung, und jeder Einzelne hat auch bestimmte Gründe für das, was er tut. Etwa Beck Weathers (gespielt von Josh Brolin, Anm.): Er läuft vor etwas weg, und an einem gewissen Punkt gibt er das auch zu. Da oben ist man komplett isoliert, die Kultur ist ganz anders als die, aus der man kommt. Man fühlt sich wie auf einem fremden Planeten, und so heißt es ja auch an einer Stelle im Film: “Wir könnten genauso gut am Mond sein.” Der Höhenunterschied und das damit einhergehende Umfeld ist wie ein anderes Universum, und vielleicht geht es ja darum, an einem Ort zu sein, der so weit von der eigenen Existenz entfernt ist, um zu sich selbst zu finden – auch wenn das ein wenig pathetisch klingt. Das “Warum” also ist: Jeder will da oben irgendwie seinen Frieden finden.

Clarke: Und es ist ein langer Weg bis dorthin. Nach 3.000 Höhenmetern fragt man sich erstmals: Warum tu ich mir das an?

Gyllenhaal: Das Unglaublichste ist die Szene, in der Rob Hall kurz unter dem Gipfel nicht mehr weiter kommt. Da gibt es diesen Moment, in dem er sich wohl denkt: “Wie viele Tausende Meter bin ich gerade entfernt davon, dass es mir gut geht?” Und als Zuschauer fragt man sich: “Warum kann er sich nicht einfach runter gleiten lassen?” Aber die Realität ist nun mal: Du stirbst da oben. Du bringst dich selbst in eine Lage, in der du dich nicht mehr retten kannst. Je höher du gehst, desto härter wird es, wieder hinabzusteigen. Und Mutter Natur sagt: “Oh, du willst das also wirklich bezwingen? Na dann, viel Glück!” Darin ist eine gewisse Schönheit versteckt: Wir wissen nicht, wo wir unser Leben beginnen und wo wir es beenden. Aber wir wissen, dass Liebe das ist, was wir zurücklassen. Genau darum geht es in diesem Moment, als er sich von seiner Frau verabschiedet. Die Liebe ist das Letzte, das er ausspricht.

Haben Sie die Katastrophe 1996 mitbekommen?

Clarke: Ja, in Australien haben sämtliche Nachrichtensendungen darüber berichtet. Immerhin war da ein Mann, der sich vom Everest aus von seiner schwangeren Frau verabschieden muss. Zu der Zeit war erstmal beeindruckend, dass Technologie so etwa schon ermöglicht. Und auf der anderen Seite fragst du dich: Wie schrecklich muss es sein, sich aus dieser Ferne zu verabschieden? Auch danach habe ich die Geschichte noch verfolgt, ich habe alles Mögliche darüber gelesen, wollte wissen, wie das passieren konnte. Ich war geradezu besessen davon, wann wer auf welcher Höhe des Berges war, und was wohl in ihnen vorging. Vor dem Dreh waren wir in einem Simulator, und da merkst du, wie sich die Begebenheiten ändern, wenn man der Natur ausgesetzt ist, seit vielleicht zwei Tagen nichts gegessen hat, und sich in die Hose macht, weil man auf einem Berg keine andere Möglichkeit hat.

Wie schwer wiegt die Verantwortung gegenüber den realen Personen, die man verkörpert, und ihren Angehörigen? Nicht zuletzt, weil man nicht genau weiß, was sich da oben abgespielt hat.

Clarke: Das beschäftigt uns schon sehr. Sarah, Robs Tochter, war bei der Weltpremiere anwesend, genauso wie Helen Wilton (damalige Base-Camp-Managerin, Anm.), David Breashears, der der Erste war, der Rob gefunden hat – und natürlich Jan Arnold (Rob Halls Witwe, Anm.). Sie alle zu sehen, oder auch das Video von Jan in den ersten Tagen nach der Katastrophe, nimmt einen sehr mit. Man sieht da eine Frau vor der Kamera, die kurz vor dem Nervenzusammenbruch steht – und das hochschwanger. Jetzt hat Jan eine 19-jährige Tochter, der sie in diesem Prozess auch den eigenen Vater näherbringt.

Hatten Sie während der Vorbereitungen jemals das Gefühl, das Ganze könnte Ihnen über den Kopf wachsen?

Clarke: Es gab diesen einen Moment, als ich nach Neuseeland gereist bin, um Jan zu treffen. Ihr Schwager war dabei, ein Mordkommissar. Er hat mich sehr direkt gefragt, warum und wie ich das Leben seines Bruders hernehmen und verkörpern will. Sie alle – sie sind sieben Geschwister – stehen sich sehr nahe. Es ist ähnlich wie beim Schauspielen: Deine Familie versteht nicht wirklich, was du tust, wenn sie nicht aus dieser Welt kommt. Natürlich hatten Robs Verwandte damals eine Vorstellung davon, was er getan hat, immerhin war er ein Pionier auf diesem Gebiet, er hat den Weg privater Expeditionen auf diese Gipfel geebnet. Aber ich glaube, dass sie über die 20 Jahre, seitdem sie ihren Bruder verloren haben, erst zunehmend realisieren, wer er eigentlich war. Und ich hoffe für Jan, dass auch Sarah sieht, wie viel ihre Mutter durchmachen musste.

Josh Brolin

Herr Gyllenhaal, Scott Fischers Kinder hatten Sorge, wie ihr Vater im Film gezeigt wird – immerhin soll er krank gewesen sein, ein Alkoholproblem gehabt haben, und er hat sich dennoch in Richtung Gipfel aufgemacht. Wie geht man da behutsam heran?

Gyllenhaal: Ich bin glücklich mit der Art und Weise, wie Scott im Film dargestellt wird. Andere Filme und Bücher haben ihn zum Antagonisten hochstilisiert. Weil die Berichte Spannung brauchten, ist Scott oft in diesen Konkurrenzkampf mit Rob gesetzt worden. Aber letztendlich sind beide da oben umgekommen, beide haben geliebt, was sie getan haben, und beide waren freundlich und zuvorkommend gegenüber jenen, mit denen sie gearbeitet haben. Mir war es wichtig aufzuzeigen, wie unterschiedlich sie gearbeitet haben. Ich glaube, Scott hat sich von Robs Herangehensweise motiviert gefühlt. Würde man im Film mehr sehen, was auf Scotts Seite getan wurde, könnte man vielleicht besser verstehen, warum er so agiert hat.

Es ist bis heute unklar, ob er krank war. Viele dieser Männer geben nicht preis, wie es ihnen geht, wie sie sich fühlen. Sie sagen höchstens mal: “Ich habe viel durchgemacht, aber bin da durchgetaucht.” Sie haben Schmerz schon so oft zu spüren bekommen, dass sie vorgeben, zu wissen, wo ihre Grenzen sind. Das liebe ich an Scott: Er sagt, so oft wie er an seine Grenze gestoßen ist, weiß er, dass er sie früher oder später überschreiten wird. Er weiß nur nicht, wann und wie. Aber genau deshalb liebt er, was er tut.

Clarke: Man sieht Scott im Film immer wieder auf- und absteigen, er hat dort oben einfach wahnsinnig hart gearbeitet, hat Schwächelnde zurück ins Camp getragen, ist dann wieder zum Team dazugestoßen. Er war ein Tiger, einer der Titanen des Bergsteigens.

Gibt es eine Art Everest in Ihrem eigenen Leben, den Sie bezwingen möchten?

Clarke: Ich will einfach meine Kinder gut großziehen. Und für sie möglichst lange und gesund leben, so einfach ist das.

Gyllenhaal: Nichts ist damit vergleichbar, Kinder zu haben. Das kann ich unmöglich toppen.

(APA/ Bilder: AP)

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