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Jahr der enttäuschten Hoffnungen

Für den Nahen Osten war 2003 ein Jahr der enttäuschten Hoffnungen. Bis zum Sommer gab es Signale für eine Belebung im Friedensprozess. Doch am 19. August kommt das jähe Ende.

Israelische Soldaten töten ein Führungsmitglied des „Islamischen Heiligen Kriegs”, womit der Kreislauf der Gewalt wieder einsetzt. Bei einem Selbstmordanschlag in Jerusalem kommen 22 Menschen ums Leben – mit ihnen stirbt auch die Aussicht auf eine rasche Umsetzung der „Roadmap”, des internationalen Fahrplans für eine Friedenslösung.

Dabei gab es für diesen von den USA, Russland, der Europäischen Union und den Vereinten Nationen vereinbarten Fahrplan durchaus Anfangserfolge: Im Juli zogen sich die israelischen Besatzungstruppen aus Teilen des Gaza-Streifens und aus Betlehem zurück. Zudem wurden erste Gefangene frei gelassen. Das Treffen des israelischen Regierungschefs Ariel Sharon mit dem auf Druck der USA installierten palästinensischen Ministerpräsidenten Mahmud Abbas (Abu Mazen) wurde von der Jerusalemer Presse bereits als „Beginn einer Freundschaft” gefeiert. Und die Organisationen der militanten Palästinenser riefen eine „Hudna” aus, einen einseitigen Waffenstillstand.

Doch mit dem gleichzeitigen jüdischen Siedlungsausbau im Westjordanland und der Fortführung der Besatzung gab Sharon seinen vermeintlichen Freund Abbas bei dessen Landsleuten der Lächerlichkeit preis. Ohne Zugeständnisse von israelischer Seite, ohne Beweise, dass eine politische Lösung realistisch wurde, musste der palästinensische Regierungschef in den Augen der Palästinenser wie eine Marionette Sharons und der USA erscheinen.

„Nur mit dem Vertrauen des Volkes kann es einem palästinensischen Ministerpräsidenten gelingen, die Hamas und den ’Islamischen Heiligen Krieg’ (Jihad) zu isolieren und die militanten Kräfte zu entwaffnen”, sagt der Direktor des Deutschen Orient-Instituts, Udo Steinbach. Nach seiner Ansicht sind die Palästinenser sogar bereit, ihren als friedensunfähig geltenden Präsidenten Yasser Arafat zu entmachten. „Aber nur, wenn Israel seine Panzer vor Arafats Büro abzieht.”

Sharons Ultimatum, bei einer Fortdauer der Gewalt in sechs Monaten eine einseitige und für die Palästinenser inakzeptable Grenzziehung vorzunehmen, bringt den neuen Ministerpräsidenten Ahmed Korei in eine ähnliche Lage wie seinen Vorgänger Abbas: Ohne ein Entgegenkommen Israels bleibt jeder Ministerpräsident in Ramallah eine Witzfigur.

Dabei gerät Sharon nicht nur in der internationalen Gemeinschaft, sondern auch in der israelischen Bevölkerung und bei den Streitkräften zunehmend in Erklärungsnöte für die Zementierung des Status quo. Bereits im Vorjahr quittierten zahlreiche Soldaten ihren Dienst in den besetzten Gebieten. Im September verweigerten 30 Piloten ihren Einsatz bei weiteren Luftangriffen, weil sie diese wegen der Opfer in der Zivilbevölkerung als illegal und unmoralisch betrachten. Zwar befürwortet die israelische Bevölkerung grundsätzlich den Sperrwall. Dass Sharon mit der Sicherheitsbarriere jedoch große Teile des Westjordanlandes abschneiden will, wird nach jüngsten Umfragen von der Mehrheit abgelehnt.

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