AA

Italien: Tiefe Besorgnis in Berlusconis Block

Der Rücktritt des italienischen Wirtschaftsministers Giulio Tremonti reisst tiefe Wunden in der Koalition von Ministerpräsident Silvio Berlusconi auf.

Der Premier und Medienmogul wurde am Samstag vom Koalitionspartner Alleanza Nazionale (AN, zweitstärkste Regierungspartei) gezwungen, die Demission des Wirtschaftsministers zu verlangen. Die AN von Gianfranco Fini hatte mit dem Austritt aus der Koalition gedroht, wäre Tremonti nicht zurückgetreten. Die Partei hatte Tremonti vorgeworfen, das Haushaltsdefizit durch falsche Entscheidungen vergrößert zu haben. Spannungen zwischen Fini und Tremonti waren seit Wochen an der Tagesordnung. Aus den jüngsten EU- und Kommunalwahlen waren vor allem die Nationale Allianz und die Christdemokraten gestärkt hervorgegangen.

Tremonti (56) wollte mit seinen geplanten Kürzungen den Haushalt mit dem Euro-Stabilitätspakt in Einklang bringen. Er wollte an diesem Wochenende ein Nachtragsbudget mit Defizit eindämmenden Maßnahmen im Wert von sieben Mrd. Euro verabschieden und sie beim Treffen der EU-Finanzminister am Montag in Brüssel vorlegen. Bei der Ecofin-Tagung in Brüssel steht der Vorschlag der EU-Kommission auf dem Programm, wegen der Gefahr eines übermäßigen Defizits einen Blauen Brief an die italienische Regierung zu schicken. Eine Entscheidung darüber hatten die Minister im Mai vertagt, um der Regierung in Rom Gelegenheit zu weiteren Einsparungen zu geben. An dem Treffen der Finanzminister in Brüssel wird nun Berlusconi teilnehmen, der nach Tremontis Demission das Wirtschaftsressort interimistisch leitet.

Tremontis Rücktritt ist ein verheerender Schlag für den so genannten Berlusconismo, den wirtschaftspolitischen Kurs Berlusconis, der mit einem ehrgeizigen Programm aus Steuersenkung, Liberalisierung und Förderung der Privatindustrie Italien ein neues Wirtschaftswunder wie jenes in den 60er Jahren versprochen hatte. Mit Tremonti verliert Berlusconi nicht nur eines der politischen Schwergewichte seiner Regierung, sondern auch einen seiner treuesten Weggefährten. Der Professor für Finanzrecht hatte schon in Berlusconis erster Regierungszeit von Mai bis Dezember 1994 den Posten des Finanzministers bekleidet. „Berlusconi ist nun eine Geisel in den Händen seiner Koalitionspartner“, kommentierten italienische Medien.

Die Demission Tremontis nährt Streit in der Mitte-Rechts-Koalition, die seit drei Jahren in Rom regiert. Die rechtspopulistische Regierungspartei Lega Nord, die beste Beziehungen zum Wirtschaftsminister hatte, forderte Berlusconi auf, seinen Schritt zu überdenken und Tremonti zurückzurufen. Die Spitze der Lega Nord berät bei einer am Montag einberufenen Sitzung über ihren Verbleib in der Regierung Berlusconi. Die Lega forderte konkrete Garantien, dass die föderalistische Reform, Eckpfeiler ihres Programms, bis Ende der Legislaturperiode durchgesetzt werde, andernfalls sei die Partei zum Regierungsaustritt bereit. „Wenn der Föderalismus nicht durchgesetzt wird, ist es für uns sinnlos, in dieser Regierung zu bleiben“, sagte die „Nummer Zwei“ der Lega, Arbeitsminister Roberto Maroni.

Auch der Koalitionspartner AN feiert die Demission Tremontis nicht. „Es wäre unverantwortlich, Tremontis Demission zu feiern. Sein Rücktritt war unvermeidbar, da sich die Beziehungen zwischen uns durchaus verschlechtert hatten. Ich sehe jedoch keinen Grund zum Feiern, wenn die Regierung ein wichtiges Element wie den Wirtschaftsminister verliert“, sagte der Telekommunikationsminister und Spitzenpolitiker der AN, Mauruzio Gasparri.

Berlusconi hat sich inzwischen auf die hektische Suche nach einem Nachfolger Tremontis gemacht. Der Regierungschef hofft, EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti zu überreden, sein im Oktober ablaufendes Mandat in Brüssel zu beenden und den Ministerposten zu übernehmen. Berlusconi will spätestens am Montag mit dem europäischen Wettbewerbskommissar zusammentreffen, um ihm den Posten des Wirtschaftsministers anzubieten. Ob der lombardische Wirtschaftsexperte das Angebot annimmt, ist auch wegen seiner Freundschaft mit Berlusconis Erzrivalen Romano Prodi ungewiss.

Sollte Monti das Angebot nicht annehmen, bleiben Berlusconi nicht viele Alternativen übrig. Zu den möglichen Kandidaten für Tremontis Nachfolge zählen der Vize-Wirtschaftsminister, Antonio Baldassarri, und der amtierende Industrieminister Antonio Marzano. Beiden fehlt jedoch das Prestige, das Monti dem angeschlagenen Kabinett Berlusconis sichern würde.

Die erste Regierung Berlusconis war 1994 mit dem Rückzug der Lega Nord nach nur sieben Monaten zerbrochen. Die jetzige Regierung ist seit Juni 2001 im Amt – länger als jede andere Nachkriegsregierung in Italien. Die fünfjährige Legislaturperiode der Abgeordnetenkammer endet erst 2006. Berlusconis Sprecher wies die Forderung der Opposition nach Rücktritt der gesamten Regierung als unverantwortlich zurück und bekräftigte, das Kabinett werde die Legislaturperiode bis zum Ende ausfüllen. Bei einer vorgezogenen Neuwahl müssten die Parteien der Mitte-Rechts-Koalition zurzeit mit einer Niederlage rechnen, räumte Berlusconi selbst in einem Interview des Magazins „Panorama“ am Freitag ein.

  • VIENNA.AT
  • Chronik
  • Italien: Tiefe Besorgnis in Berlusconis Block
  • Kommentare
    Die Kommentarfunktion ist für diesen Artikel deaktiviert.