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Italien: Plötzlicher Umschwung

Prodi muß um den Sieg zittern: Berlusconi könnte das Ergebnis der italienischen Parlamentswahl noch komplett umdrehen. Noch gibt es keine definitiven Aussagen.

Plötzlicher Umschwung in den Hochrechnungen zur italienischen Parlamentswahl: Um 21:15 veröffentlichte die italienische Wahlbehörde am Montagabend weitere Hochrechnungen, nach denen erstmals Silvio Berlusconis Mitte-Rechts-Bündnis doch die Mehrheit in beiden Parlamentshäusern, im Senat und in der Abgeordnetenkammer, gewonnen haben könnte.

Demnach lag bei einem Auszählungsstand von 97 Prozent im Senat das „Haus der Freiheiten“ (Casa delle Liberta’) mit 158 Sitzen knapp vor der „Unione“ von Romano Prodi mit 151 Sitzen. In Stimmanteilen lag der Unterschied unter einem Prozent. Verkompliziert wurde die Sitzauswertung durch die Tatsache, dass zum einen nach Verhältniswahlrecht und zum anderen regional ausgezählt wird. Die Fehlermarge erlaubt aber jederzeit bis zum Vorliegen des Endergebnisses noch weitere Umschwünge. Letztlich könnten sogar die Stimmen der Auslandsitaliener ausschlaggebend sein. Diese dürften aber mehrheitlich Mitte-Links-Chef Romano Prodi wählen, verlautete aus Demoskopen-Kreisen.

Genauso knapp war die Situation in der Abgeordnetenkammer: Während Exit Polls vom Nachmittag Prodi einen komfortablen Fünf-Punkte-Vorsprung einräumten, schmolz dieser Wert ebenfalls auf unter ein Prozent in den Hochrechnungen zusammen. Eine Auswertung von Wählerstimmen, die im italienischen Fernsehen um 21.15 Uhr präsentiert wurde, sprach von 50 Prozent für Berlusconi und von 49,5 Prozent für seinen Herausforderer Prodi. Auch hier sei das Ergebnis viel zu knapp, um definitive Aussagen machen zu können, hieß es aus der Wahlbehörde, außerdem habe man erst 63 Prozent der Stimmen ausgezählt.

Statistiker der Wahlbehörde und Demoskopen des Meinungsforschungsinstituts Nexus mahnten am Abend angesichts dieser Zahlen zu größter Vorsicht bei der Interpretation: „Es ist das Beste, wenn wir jetzt ganz ganz vorsichtig vorgehen“, meinte ein Experte im italienischen TV-Sender RAI. Das Ergebnis sei zu knapp, als dass man schon von einem echten Trend sprechen könnte. „Es kann noch allerhand passieren!“

Die italienische Regierungskoalition um Berlusconi gab sich indes wieder zuversichtlich. „Die Partie ist absolut noch offen, vor allem was die Stimmen für den Senat betrifft“, kommentierte der italienische Regionenminister Enrico La Loggia, Spitzenpolitiker der Berlusconi-Partei Forza Italia, während sich die Stimmenzählung hinauszögerte. La Loggia rief die Opposition auf, nicht zu früh den Wahlsieg zu feiern. „Wir hoffen noch auf ein ’Tor’ in letzter Minute“, erklärte der Minister.

Ein Spitzenpolitiker der rechten Alleanza Nazionale (AN), Ignazio La Russa, rief die Italiener auf, sich auf eine lange Nacht vorzubereiten. „Die Wahlergebnisse werden spät kommen. Die Italiener sollten sich mit Getränken und Brötchen auf eine lange Nacht gefasst machen“, so La Russa.

„Sollte es in beiden Kammern zu unterschiedlichen Mehrheiten kommen, droht Italien unregierbar zu werden“, kommentierte der italienische Politologe Stefano Grazioli die spannende Situation am Abend im Gespräch mit der APA. „Während nach dem geltenden Wahlrecht im Senat bei extremer Stimmenknappheit praktisch eine Pattstellung entstehen könnte, wird in der Abgeordnetenkammer dem Wahlsieger – so knapp das Ergebnis auch ausfallen mag – ein ’Mehrheitsbonus’ zuteil; das heißt, der Sieger bekommt auf jeden Fall mindestens 340 Sitze in der Abgeordnetenkammer.“ Insgesamt sind in dieser Kammer 630 Sitze zu vergeben, die Opposition könnte also maximal 290 Sitze erringen. „Es könnte also passieren, dass nur wenige hundert Wählerstimmen über die Regierbarkeit des Landes bestimmen: Bei unterschiedlichen Mehrheiten in beiden Häusern würde der Senat auf jeden Fall Gesetze aus dem Abgeordnetenhaus ’abschießen’ können“, so Grazioli.

Berlusconi wartete unterdessen mit einigen Mitarbeitern in seiner römischen Residenz auf die Wahlergebnisse. „Berlusconi ist sehr ruhig. Er weiß, dass er das Möglichste getan hat, um die Italiener zu überzeugen, für die Mitte-Rechts-Allianz zu wählen. Die bisherigen Trends belohnen die Bemühungen und den kämpferischen Geistes Berlusconis, der sich in diesem Wahlkampf vollkommen engagiert hat“, kommentierte am Montagabend der Koordinator der Berlusconi-Partei Forza Italia, Sandro Bondi, in einem Fernsehinterview.

Oppositionschef Romano Prodi wartete in der Wohnung einiger Freunde auf das Wahlergebnis. Von Mitarbeitern umringt, beobachtete Prodi das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen seiner Allianz und dem Bündnis um Berlusconi. Prodi weigerte sich die bisherigen Trends zu kommentieren. Erst nach Veröffentlichung eines definitiven Wahlergebnisses will Prodi eine Pressekonferenz abhalten.

Polemik wegen Unzuverlässigkeit der Exit Polls

Nach der Ungewissheit um das Wahlergebnis der Parlamentswahlen in Italien sind am Montagabend die Meinungsforschungsinstitute arg unter Druck geraten. Vor allem das Institut Nexus, das für die öffentlich-rechtliche TV-Anstalt RAI die Exit Polls veröffentlichte, wird beschuldigt, für Verwirrung gesorgt zu haben. Aus den veröffentlichten Zahlen sei ein deutlicher Sieg der Mitte-Links-Allianz „Unione“ um Romano Prodi hervorgegangen, das von den Hochrechungen nicht bestätigt wurde, kritisierten Vertreter der Regierungskoalition um Ministerpräsident Silvio Berlusconi, die laut jüngsten Hochrechnungen sowohl im Senat als auch in der Abgeordnetenkammer knapp vorn im Rennen ist.

Politiker aus den Reihen der Regierungskoalition und der Opposition forderten ein künftiges Verbot, nach Schließung der Wahllokale Exit Polls zu veröffentlichen. „Sie sind unzuverlässig und verwirren die Öffentlichkeit“, klagte der italienische Justizminister Roberto Castelli.

Auch der König der italienischen Polit-Shows, der Starjournalist Bruno Vespa, gab zu, dass sich die Exit Polls als unzuverlässig erwiesen haben. Er rief die Italiener auf, vor dem Fernseher auf das definitive Wahlergebnis zu warten. „Was geht da zum Teufel vor? Wir werden jedenfalls gemeinsam eine unglaubliche Wahlnacht erleben, in der jeder gewinnen oder auch verlieren kann“, kommentierte Vespa.

Politologen schließen baldige Neuwahlen nicht aus

Angesichts des Kopf-an-Kopf-Rennens zwischen der Mitte-rechts-Koalition von Ministerpräsident Silvio Berlusconi und dem Mitte-links-Bündnis von Romano Prodi bei den Parlamentswahlen in Italien könnte eine so genannte „technische Regierung“ aus parteiunabhängigen Fachleuten die Lösung sein, um Italien zumindest vorübergehend Regierbarkeit zu sichern. Dies betonte der Politologe Gianni Baget Bozzo, der am Montagabend Italien eine Phase großer politischer Instabilität prophezeite. „Sollte kein klarer Sieger aus den Parlamentswahlen hervortreten, werden bald Neuwahlen notwendig sein“, meinte Baget Bozzo.

„Es ist offensichtlich, dass Italien ein gespaltenes Land ist. Berlusconis Bündnis ist immer noch solide, da die Hälfte der Italiener für die Mitte-Rechts-Allianz gewählt haben“, sagte der Politologe.

Der Chef der christdemokratischen Regierungspartei UDC, Lorenzo Cesa, warnte vor dem Schreckgespenst der Unregierbarkeit in Italien. „Wenn die Opposition im Senat, und die Regierungskoalition in der Abgeordnetenkammer gewinnen, wird das Land in die Unregierbarkeit stürzen. Die Mitte-Links-Allianz ist voller Widersprüche. Sie wird bald in die Brüche gehen“, sagte Cesa.

Auch der Chef der altkommunistischen Rifondazione, Fausto Bertinotti, gab zu, dass Italien zutiefst gespalten sei. „Das Land ist in zwei Teile gespalten, wie es bisher noch nie der Fall war“, sagte Bertinotti. Er zeigte sich über die Ergebnisse seiner Partei zufrieden, die zirka 7,4 Prozent der Stimmen erhalten hat. „Dies liegt über meinen Erwartungen. Ich hatte mit zirka fünf Prozent gerechnet“, sagte Bertinotti.

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