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Israel setzt volle Militärmacht gegen Gazastreifen ein

Israel setzt seine gesamte Militärmacht gegen die Hamas im Gazastreifen (Gaza-Streifen) ein. Nach einwöchigen Luftangriffen rückten Panzer und mehrere tausend Soldaten am Wochenende in das palästinensische Gebiet ein. Kriegsschiffe nahmen Ziele in der Stadt Gaza unter Beschuss. Nach Angaben von Ärzten kamen mindestens 31 Palästinenser ums Leben.

Damit stieg die Zahl aller Toten seit Beginn der Offensive am 27. Dezember auf mehr als 500, darunter mindestens 100 Zivilpersonen.

Mit Einbruch der Dunkelheit stießen die Truppen am Samstagabend an drei Stellen über die Grenze vor. Grenznahe Ziele im Gazastreifen wurden von schwerer Artillerie unter Beschuss genommen. Gleichzeitig griffen Kampfflugzeuge und die Marine an. Israel hatte Zehntausende Reservisten für die größte Operation der vergangenen vier Jahrzehnte im Gazastreifen einberufen. Die Hamas nahm eigenen Angaben zufolge zwei israelische Soldaten gefangen. Das israelische Militär dementierte jedoch. Ein Militärsprecher sagte, der Einsatz im Gazastreifen könne viele Tage andauern.

Rund 50 Panzer und Infanterie-Einheiten stünden in der früheren jüdischen Siedlung Netzarim, drei Kilometer südlich von Gaza, berichteten Augenzeugen am Sonntag. Dadurch wurde die 400.000 Einwohner zählende Stadt vom übrigen Gazastreifen abgeschnitten. Die israelische Armee kontrollierte demnach am Sonntag die wichtigste Verkehrsstraße, die Salaheddin Road, nördlich und südlich von Gaza, und nahm Stellungen kurz vor Gaza ein. Die heftigsten Kämpfe gab es den Angaben zufolge in Jabaliya und Beit Lahiya nördlich von Gaza. Dutzende Familien flohen in voll beladenen Kleinbussen vor den vorrückenden israelischen Soldaten, wie Augenzeugen sagten.

Die israelischen Truppen konzentrierten sich zunächst darauf, im nördlichen Teil des palästinensischen Gebiets die Raketen-Abschussrampen zu zerstören. Es kam zu heftigen Gefechten mit Hamas-Kämpfern, deren Stärke auf rund 20.000 Mann geschätzt wird. Aufseiten der Hamas kamen mindestens vier Kämpfer ums Leben; die israelischen Streitkräfte nannten eine Zahl von 30 Verletzten in den eigenen Reihen. Ein Militär-Sprecher dementierte Hamas-Angaben, wonach neun israelische Soldaten getötet worden seien. Der Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen dauerte trotz der Bodenoffensive auch am Sonntag weiter an, im Süden Israels schlugen am Sonntag mehr als 30 Raketen und Mörsergranaten ein.

Eine Helferin beschrieb die Lage in den palästinensischen Krankenhäusern im Gazastreifen als dramatisch. Sie habe so etwas noch nie erlebt, erklärte die Gaza-Koordinatorin der Hilfsorganisation Medical Aid for Palestinians (MAP), Fikr Shalltoot, am Sonntag im Fernsehsender CNN. “Es ist Wahnsinn.” Im ganzen Gazastreifen gebe es in den Krankenhäusern nur 2.500 Betten. Wegen des Stromausfalls in der Stadt Gaza müsse das größte Krankenhaus mit Generatoren arbeiten.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz beklagte sich indes, dass einem Ärzteteam seit Tagen der Zugang zum Gazastreifen verwehrt werde. Nach Angaben der Organisation in Genf sollte das Team aus zwei Ärzten und zwei Krankenschwestern am Freitag in den Gazastreifen reisen, um erschöpften palästinensischen Medizinern vor Ort bei der Versorgung von Verletzten zu helfen. Die fachliche Kompetenz des IKRK-Teams sei “dringend nötig”, hieß es.

Mit der Bodenoffensive sollten Gebiete eingenommen werden, von denen aus Raketen auf Israel abgeschossen würden, erklärte das Büro des israelischen Regierungschefs Ehud Olmert. Der Premier sagte am Sonntag im Kabinett, die Offensive berge erhebliche Risiken. Israel könne aber nicht länger zulassen, dass die eigene Bevölkerung immer wieder das Ziel von Raketen aus dem Gazastreifen sei. “Diese Operation war unvermeidlich.” Verteidigungsminister Ehud Barak drohte mit einer Ausweitung und Intensivierung der Offensive “wenn nötig” und erklärte, diese werde nicht von kurzer Dauer sein.

Die Hamas reagierte mit Drohungen auf den Einmarsch. Am Sonntag verkündete Hamas-Sprecher Ismail Radwan, die Stadt Gaza weiter unter Kontrolle zu haben. “Ihr seid reingekommen wie Ratten”, sagte Radwan kurz nach Beginn der Invasion. “Gaza wird zum Friedhof für euch werden.” Die Hamas forderte außerdem alle palästinensischen Fraktionen zu einer Krisensitzung auf. Hamas-Sprecher Mohammed Nazal sagte, “alle nationalistischen Kräfte” sollten sich treffen, um angesichts der Offensive ein gemeinsames Vorgehen zu beschließen.

Ein Vertreter der mit der Hamas rivalisierenden Fatah rief die Palästinenser am Sonntag auf, sich um Präsident Mahmoud Abbas zu scharen, “um der Weltöffentlichkeit zu zeigen, dass wir in diesen schwierigen Stunden zusammenstehen”. Abbas selbst verurteilte die israelische Bodenoffensive als brutale Aggression. Abbas sagte nach einem Treffen mit Führern der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) im Westjordanland, die Lage sei untragbar geworden.

Bei Protesten im Westjordanland gegen die israelische Offensive wurde am Sonntag ein Palästinenser getötet. Nach Angaben von Sanitätern erschossen die Einsatzkräfte einen 22-jährigen Demonstranten. Die israelische Armee bestätigte, dass Soldaten einen Palästinenser bei Unruhen nahe der Grenzstadt Kalkilya getötet hätten. Die Menge sei zuvor aufgefordert worden, die Proteste zu beenden.

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