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Israel: Rückschlag für Friedensbemühungen

Wenige Tage nach der mit großen Friedenshoffnungen verbundenen palästinensischen Präsidentenwahl haben drei Extremisten bei einem Anschlag auf den Karni-Grenzübergang zwischen Israel und dem Gaza-Streifen sechs Israelis getötet.

Nach dem Anschlag hat Israel sämtliche Grenzübergänge geschlossen. Neben der radikalen Hamas-Bewegung bekannten sich auch die (aus autonom agierenden Fatah-Elementen zusammengesetzten) Al-Aksa-Märtyrerbrigaden und die „Volkswiderstandskomitees“ zu dem Attentat.

Hamas-Sprecher Sami Abu Zuhri bezeichnete den Angriff als „Botschaft an den israelischen Feind, aber definitiv nicht an Abu Mazen“, wie der PLO-Vorsitzende und neu gewählte palästinensische Präsident Mahmud Abbas auch genannt wird, der am morgigen Samstag in Ramallah vereidigt werden soll. Erst am Donnerstag hatte der Hamas-Führer im Westjordanland, Scheich Hassan Yussef, gesagt, seine Bewegung sei im Begriff, die Strategie der Gewalt zu überdenken und mit Abbas zu verhandeln. Auf den Karni-Anschlag angesprochen, sagte Yussef am Freitag, die Hamas sei in ihrem Handeln frei, solange es keine Übereinkunft gebe.

Die palästinensische Führung hat Israel nach dem blutigen Anschlag zu einem beiderseitigen Ende der Gewalt aufgerufen. „Eine Waffenruhe ist der Weg zu einem Ende der Gewalt und zur Rückkehr an den Verhandlungstisch“, sagte Präsidentenberater Nabil Abu Rudeina in Ramallah. „Israel sollte seine militärischen Angriffe einstellen (…) und sich aus palästinensischen Städten zurückziehen“, fügte er hinzu. Damit die palästinensische Führung durchgreifen könne, müsse die israelische Armee die von ihr okkupierten Zonen räumen.

Die neue israelische Justizministerin Zipi Livneh erklärte am Freitag, die Position des neuen palästinensischen Präsidenten müsse gestärkt werden. Israel werde Abbas noch etwas Zeit einräumen, die Extremisten zu stoppen, sagte die Likud-Politikerin im Armeeradio. Der palästinensische Sicherheitschef General Abdelrazzek Majaida teilte mit, zur Bekämpfung der Kriminalität sei eine neue Eliteeinheit gebildet worden. Sie umfasse 750 Beamte, deren Aufgabe die Verfolgung und Entwaffnung von Straftätern sei. Die Einheit sei aber nicht dafür zuständig, gegen Extremisten vorzugehen, die in Anschläge auf Israel verwickelt seien.

Der ehemalige Sicherheitsminister und Ex-Sicherheitschef im Gaza-Streifen, Mohammed Dahlan, hat die radikalen Islamisten-Gruppen aufgefordert, ihre Ziele nicht länger mit Gewalt durchzusetzen. „Jetzt ist es Zeit für die palästinensische Autorität, sich vom Machtmonopol zu verabschieden, und die Opposition sollte ihrerseits aufhören, der palästinensischen Führung und dem Volk ihre eigene Logik mit Gewalt aufzuzwingen“, sagte Dahlan in einem am Freitag veröffentlichten Interview der arabischen Zeitung „al-Hayat“. Abbas und seine Mitstreiter führten einen intensiven Dialog mit der Hamas und anderen militanten Fraktionen, um ein gemeinsames Programm zu finden. „Die Gemeinsamkeiten zwischen uns und ihnen sind größer als das, was uns trennt“, betonte Dahlan.

Die Attentäter brachten am Donnerstag gegen 23.00 Uhr (22.00 MEZ) am Tor einer Sicherheitsmauer des Grenzübergangs Karni eine bis zu 100 Kilogramm schwere Bombe zur Explosion, wie es von Seiten der Streitkräfte und im israelischen Armeeradio hieß. Durch das Loch, das die Detonation in die Mauer riss, stürmten nach Militärangaben drei Bewaffnete auf die andere Seite und feuerten auf die Israelis, bis sie selbst erschossen wurden. Unter den sechs israelischen Opfern waren zwei Lastwagenfahrer.

Über den Grenzübergang Karni wird der Transport von landwirtschaftlichen Produkten und anderen Gütern abgewickelt. Israel sperrte als Reaktion auf den Anschlag auch den Grenzübergang Erez, der in der Regel von Diplomaten und Journalisten sowie von Palästinensern genutzt wird, die in Israel arbeiten. Bereits seit Dezember ist ein dritter wichtiger Übergang in der Nähe von Rafah im Süden des Gaza-Streifens an der Grenze zu Ägypten geschlossen.

Tausende Palästinenser feiern Karni-Anschlag

Tausende Palästinenser haben am Freitag den Bombenanschlag auf einen israelischen Grenzposten gefeiert, bei dem in der vergangenen Nacht sechs Israelis ums Leben gekommen waren. Der Anschlag am Grenzübergang Karni zwischen dem Gaza-Streifen und Israel, zu dem sich mehrere Extremistengruppen bekannt haben, gilt als vorerst größte Herausforderung für den Friedenskurs des neuen Präsidenten Mahmud Abbas (Abu Mazen). Viele der Teilnehmer der als „Siegesmarsch“ bezeichneten Kundgebung in dem Flüchtlingslager Jabalia im Gaza-Streifen trugen grüne islamische Fahnen mit sich.

Zu der Demonstration hatten militante Gruppen aufgerufen, die Abbas zu einem Ende der Gewalt gegen Israel aufgerufen hatte. Israel signalisierte, mit Bedacht auf die Vorfälle zu reagieren, um eine Schwächung von Abbas zu vermeiden. Sechs israelische Zivilisten seien bei der Explosion sowie einem Angriff von Extremisten am Grenzposten Karni getötet worden, teilte das israelische Militär mit. Die Armee habe dann mindestens drei Angreifer erschossen. Zudem flog sie einen Raketenangriff auf ein palästinensisches Flüchtlingslager. Nach Angaben einer Armeesprecherin ergaben Ermittlungen, dass eine große Bombe an einer Tür befestigt wurde, die den israelischen vom palästinensischen Teil des Grenzübergangs trennte. Nach der Explosion seien bewaffnete Palästinenser vorgedrungen und es sei zu einer Schießerei gekommen.

Wenig später feuerte ein israelischer Hubschrauber zwei Raketen auf ein medizinisches Zentrum im Flüchtlingslager Deir al-Bala im Mittelabschnitt des Gaza-Streifens ab. Ein Passant sei verletzt worden, sagten Augenzeugen. Das Zentrum wird von der islamischen Wohlfahrtsorganisation al-Sala betrieben, die Verbindungen zur Hamas-Bewegung hat.

Es war der schwerste Anschlag seit mehr als einer Woche im Gaza-Streifen, den Israels Premier Ariel Sharon noch in diesem Jahr räumen will. Nach Angaben von Hamas-Vertretern sollten israelische Soldaten entführt und als Faustpfand für in Israel inhaftierte Palästinenser eingesetzt werden. Die Hamas hatte Aufrufe des neuen palästinensischen Präsidenten zu einem Ende des bewaffneten Kampfes zurückgewiesen.

Der palästinensische Arbeitsminister Ghassan Khatib sagte, der Angriff stelle keine Herausforderung Abbas’ dar. Er sei vielmehr eine Warnung der Extremisten, dass „wenn Israel seine Angriffe fortsetzt, die Reaktion darauf auch fortgesetzt wird“. Die israelische Justizministerin Zipi Livneh sagte, die Armee müsse Maßnahmen gegen weitere Anschläge ergreifen. Die Likud-Politikerin fügte jedoch hinzu: „Wir müssen versuchen, Abbas als Führer zu stärken, in der Hoffnung, dass er eines Tages in Lage sein wird, die Terrororganisationen unter Kontrolle zu bekommen.“ Der Nachfolger des verstorbenen Präsidenten Yasser Arafat hat Gewalt als Mittel für die Verwirklichung der staatlichen Unabhängigkeit abgelehnt und will schon bald mit Sharon zusammentreffen. Dieser hatte Arafat vorgeworfen, hinter der Gewalt gegen Israel zu stecken, und ihn als Gesprächspartner abgelehnt.

Stichwort: Militante Palästinensergruppen

Zu dem blutigen Anschlag auf den israelischen Grenzposten bei Karni haben sich am Freitag die Hamas-Bewegung, die Al-Aksa-Brigaden und die „Volkswiderstandskomitees“ bekannt.

Die von den USA als terroristisch eingestufte Hamas (Abkürzung für „Bewegung des Islamischen Widerstandes“) wurde 1987 zu Beginn des ersten Volksaufstands (Intifada) von Scheich Ahmed Yassin in Gaza gegründet, angeblich mit Unterstützung der israelischen Geheimdienste, die damit das Ziel verfolgt haben sollen, PLO-Chef Yasser Arafat politisch zu schwächen. Yassin, den die israelische Armee im Vorjahr „gezielt tötete“, hatte propagiert, die Selbstmordanschläge bis zur vollständigen Befreiung Palästinas fortzusetzen. Die meisten ihrer Mitglieder rekrutiert die Hamas in den palästinensischen Flüchtlingslagern im Gaza-Streifen. Ihr militärischer Arm „Brigaden Ezzedin al Kassam“ hat sich zu einer Reihe von Selbstmordanschlägen bekannt. (Ezzedin al Kassam war ein nationalistischer Scheich, der 1935 im Kampf gegen die damalige britische Mandatsmacht umkam.)

Der „Islamische Heilige Krieg“ (Jihad Islami) entstand vor über zwei Jahrzehnten. Ihr Gründer Fathi Shkaki, der in Kairo Medizin studierte und seit 1979 in einem Jerusalemer Krankenhaus arbeitete, wurde 1995 auf der Insel Malta erschossen – vermutlich von israelischen Mossad-Agenten. Zuvor hatte er viele Monate in israelischen Gefängnissen verbracht und dennoch die Fäden der Organisation in der Hand behalten. „Jihad“ bedeutet die religiöse Pflicht der Moslems, ihre Religion notfalls auch mit Gewalt zu verbreiten.

Die Al-Aksa-Märtyrerbrigaden setzen sich aus extremen Elementen der Fatah-Bewegung des verstorbenen Präsidenten Yasser Arafat und seines Nachfolgers Mahmud Abbas zusammen. Sie bestehen aus zahlreichen kleinen „Kampfeinheiten“, was eine Kontrolle durch zentrale Führungsinstanzen unmöglich macht. Unter dem Namen Al-Aksa-Brigaden traten sie erstmals im Juni 2001 in Erscheinung, als Drahtzieher von antiisraelischen Selbstmordanschlägen.

Die „Volkswiderstandskomitees“ der Intifada wurden als eine Art Dachorganisation militanter Gruppen gegründet. Die Organisation hat diese Rolle aber nicht übernommen. Ihr sind bewaffnete Gruppen angeschlossen, die nicht einer einheitlichen Führung unterstellt sind.

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