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Israel: Präsidentenbewerbung aus Gefängnis

In einer spektakulären Kehrtwende ließ Marwan Barghuti am Mittwoch aus seiner israelischen Gefängniszelle heraus verlauten, dass er nun doch für die palästinensische Präsidentschaftswahl am 9. Jänner kandidiert.

Damit hat nicht nur Israel ein Problem, auch die Führung der Fatah-Bewegung fühlt sich innerparteilich brüskiert, hatte sie sich doch schon auf PLO-Chef Mahmud Abbas als aussichtsreichsten Kandidaten verständigt. Abbas genießt in Israel wie im Ausland Ansehen – das palästinensische Volk dagegen liebt Barghuti, den Vertreter der „jungen Garde“ und „Märtyrer“ der Intifada.

Vielen Palästinensern gilt Barghuti als der ideale Nachfolger des verstorbenen Präsidenten Yasser Arafat. Für sie ist der 45-Jährige der einzige Politiker, der es schaffen könnte, sich sowohl gegenüber den militanten Extremistenorganisationen durchzusetzen als auch mit Israel zu verhandeln. Seine enorme Autorität in den eigenen Reihen verschaffte sich der studierte Politologe durch seinen konsequenten Widerstand und seine scharfen Reden gegen die israelische Besatzung. Im Gegensatz zur alten Garde, die mit Arafat erst aus dem Exil in Tunesien in die Palästinensergebiete zurückkehrte und sich seitdem durch ein Luxusleben diskreditierte, sehen die Palästinenser in Baghuti einen der ihren.

Bis vor wenigen Jahren war Barghuti noch weitgehend unbekannt. Einen großen Teil seiner Jugend verbrachte er in israelischer Haft, seitdem spricht er fließend hebräisch. Nach seiner Haftentlassung ging er während der ersten Intifada 1987 ins tunesische Zwangsexil. Erst nach dem israelisch-palästinensischen Abkommen in Oslo von 1993 kehrte er ins Westjordanland zurück und wurde in das Parlament der Autonomiegebiete gewählt. Er stieg zum engen Vertrauten Arafats auf. Mit dem Scheitern der Friedensverhandlungen von Camp David im Juli 2000 entwickelte sich der glühende „Oslo-Anhänger“ aber zunehmend zu einem radikalen Gegner der israelischen Besatzung in den Palästinensergebieten.

Zwar befürwortet er immer noch die Co-Existenz Israels und eines Palästinenserstaats als einzige Lösung des Nahost-Konflikts, doch glaubt er nun, dies nur noch mit den Mitteln des Widerstands durchsetzen zu können. Nach dem Beginn der zweiten Intifada im September 2000 setzte sich der Fatah-Chef im Westjordanland rasch an die Spitze des Palästinenseraufstands gegen Israel. Barghuti predigte den bewaffneten Kampf gegen die israelische Armee – blinde Mordanschläge auf israelische Zivilisten aber lehnte er ab. Mit seiner leidenschaftlichen Rhetorik und seinem beißenden Humor riss er die Mengen mit sich. Seitdem hat der vierfache Vater Spitznamen: „Vater der Intifada“ und – wegen seiner Statur – „palästinensischer Napoleon“.

Vollends zum Helden wurde Barghuti, als er im August 2001 einen Anschlag der israelischen Armee auf seinen Wagenkonvoi überlebte, ein halbes Jahr später im Westjordanland verhaftet und schließlich im Juni dieses Jahres von einem israelischen Gericht wegen mehrerer Anschläge mit insgesamt fünf Toten zu fünffach lebenslanger Haft verurteilt wurde. Immer wieder gelang es ihm, den Prozess zu einer flammenden Anklage gegen die israelische Besatzung umzumünzen.

Israel fürchtet Barghuti als Scharfmacher. In seiner Begründung für seinen Entschluss, den Verzicht auf eine Präsidentschaftskandidatur wieder rückgängig zu machen, erklärte dieser denn auch, er wolle an dem „demokratischen Kampf teilnehmen aus Treue zur Intifada und dem Widerstand – und um sie gegen die Terrorismus-Vorwürfe zu schützen“.

Seine Kandidatur rief wiederum eine ungewöhnliche Allianz hervor: Unisono lehnten Israel und die Fatah-Führung Barghutis Kandidatur ab, auch die USA sehen sie nach den Worten des US-Außenministers Colin Powell als „problematisch“ an.

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