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Israel: Koalitionsverhandlungen ab Wochenende

Mit Billigung seiner rechtskonservativen Likud-Partei hat der israelische Ministerpräsident Ariel Sharon am Freitag die sozialdemokratische Arbeiterpartei und zwei religiöse Fraktionen - Shas und Vereinigtes Torah-Judentum - zu Koalitionsgesprächen eingeladen.

Er rief Oppositionsführer und Ex-Ministerpräsident Shimon Peres von der Arbeiterpartei sowie die Vorsitzenden der Parteien Shas, Eli Yishai, sowie Vereinigtes Torah-Judentum, Meier Porush, in dieser Angelegenheit bereits an.

Das Likud-Zentralkomitee hatte am Vorabend mit deutlicher Mehrheit für die Bildung einer großen Koalition mit diesen Parteien gestimmt. Die Arbeiterpartei will sich am Samstagabend versammeln, um die Verhandlungen abzusegnen. Mit Beginn der Koalitionsgespräche wird bereits am Sonntag gerechnet. Aus dem monatelangen Ringen mit innerparteilichen Gegnern seines Plans zum Abzug aus dem Gazastreifen ging damit Sharon vorerst als strahlender Sieger hervor. Der Regierungschef zeigte sich fest entschlossen, eine neue Mannschaft hinter sich zu versammeln, um im kommenden Sommer die geplante Räumung aller jüdischen Siedlungen im Gaza-Streifen in die Tat umzusetzen.

Erst vor vier Monaten hatte dasselbe Gremium, das Sharon jetzt so deutlich stützte, ihm eine demütigende Niederlage zugefügt, als es gegen eine Koalition mit der Arbeiterpartei stimmte. Seitdem ist es Sharon Schritt für Schritt gelungen, die so genannten Likud-Rebellen niederzuringen. Er habe es geschafft, seine widerspenstige Partei zu zähmen, schrieb ein Kommentator der Zeitung „Maariv“ am Freitag. Beobachter äußerten allerdings die Überzeugung, es sei keine plötzliche Begeisterung für den Abzugsplan, sondern insbesondere die Drohung Sharons mit Neuwahlen, die ihm den Abstimmungssieg einbrachte. Der Likud, der gegenwärtig mit 40 Mandaten über ein Drittel der 120 Sitze im Parlament verfügt, fürchte dabei einen Machtverlust, hieß es.

Ein Analyst der Zeitung „Haaretz“ verglich Sharons Manöver mit dem eines Spielers, der beim Roulette alles verloren hat, seinen letzten Jeton einsetzt und dann einen Riesengewinn erzielt. „Diesmal, bei dem schicksalträchtigsten Test von allen, hat er die Bank gesprengt.“

Führende Mitglieder der Arbeiterpartei deuteten am Freitag an, eine Vereinbarung über die Bildung einer großen Koalition werde schon in wenigen Tagen erwartet. Die mit 19 Mandaten zweitgrößte Fraktion im Parlament will nach Medienberichten sieben Ministerämter und die Position des stellvertretenden Ministerpräsidenten für Peres fordern. Mit den religiösen Parteien Shas (11) und Vereinigtes Torah-Judentum (5), die gemeinsam 16 Sitze bringen, würde die Koalition wieder über eine bequeme Mehrheit von 75 Mandaten verfügen.

Der palästinensische Verhandlungsminister Saeb Erekat äußerte am Freitag die Hoffnung, mit der neuen Koalition könne es eine Wiederaufnahme der Friedensgespräche geben. Man hoffe auf einen echten Friedensprozess, der das Ende der israelischen Besatzung bedeute. „Wir hoffen, dass die neue Regierung eine Wiederbelebung des Friedensprozesses erreichen wird, der zu einem Ende der israelischen Besatzung führt“, so Erekat.

Eine Kommentatorin der Zeitung „Yediot Ahronot“ meinte am Freitag, im Alter von 77 Jahren strebe Sharon offenbar eine historische Rolle in Nahost an. Er wolle als der Regierungschef in die Geschichte eingehen, „der die israelische Armee aus dem Gazastreifen führte und nicht als die Person, die sie in den Libanon schickte.“ Zur Erklärung: Im Süden des Libanon gab es von Juni 1982 bis Mai 2000 eine israelische Sicherheitszone zum Schutz vor Katjuscha-Raketen der libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah. Sharon war damals Verteidigungsminister und für die Sicherheitszone verantwortlich. Als sich Israel vor rund vier Jahren nach jahrelanger Besatzung aus dem Libanon zurückzog, war dieser Abzug von der Hisbollah als Sieg über Israel gefeiert worden.

Erste große Koalition in Israel entstand vor dem Sechs-Tage-Krieg

In Israel steht die Bildung einer großen Koalition zwischen der rechtsgerichteten Likud-Partei und u.a. der bisher oppositionellen Arbeiterpartei bevor. Es wäre nicht das erste Mal, dass das Land von einer solchen Regierung geführt würde:

– Kurz vor Ausbruch des Sechs-Tage-Krieges zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn Ägypten, Jordanien und Syrien im Juni 1967 schlossen sich erstmals Arbeiterpartei und die damals oppositionelle Rechte zusammen. Die große Koalition zerbrach 1970, weil der Likud-Block unter Menachem Begin aus Protest gegen den Waffenstillstand mit Ägypten austrat.

– Erst 14 Jahre später gingen Arbeiterpartei und Likud erneut ein Regierungsbündnis ein, nachdem sich bei der Wahl im Juli 1984 keine der beiden Parteien durchsetzen konnte. In einem quasi einmaligen Rotationsprinzip regierte zunächst der Chef der Arbeiterpartei, Shimon Peres, das Land; nach zwei Jahren übernahm der Likud-Vorsitzende Yitzhak Shamir die Amtsgeschäfte.

– Nach der Parlamentswahl 1988, aus der der Likud erfolgreich hervorging, wurde die große Koalition neu aufgelegt. Diesmal war Shamir der Posten des Ministerpräsidenten allein vorbehalten. Der neue Chef der Arbeitspartei, Yitzhak Rabin, wurde Verteidigungsminister. Die Allianz hielt bis 1990, dann ging die Arbeiterpartei in die Opposition.

– Im März 2001 bildeten die beiden großen Parteien erneut eine gemeinsame Regierungskoalition. Das Bündnis unter Regierungschef Ariel Sharon und dem Arbeiterpartei-Chef Benjamin Ben Elieser brach jedoch im Oktober 2002 wegen des Streits um Finanzhilfen für jüdische Siedler auseinander.

– Anfang Dezember 2004 zerbrach nach einem Streit um den Haushaltsentwurf für 2005 die Koalitionsregierung mit der laizistischen Shinui-Partei. Die Likud-Partei machte daraufhin den Weg frei für eine Neuauflage der großen Koalition mit der Arbeiterpartei.

Stichwort: Israels Arbeiterpartei=

Die israelische Arbeiterpartei (Haavoda) (auch „Arbeitspartei“) ist aus einem Zusammenschluss mehrerer sozialistischer und sozialdemokratischer Parteien hervorgegangen. Die stärkste und einflussreichste war die Mapai („Partei der Arbeiter des Landes Israel“) des ersten Ministerpräsidenten David Ben Gurion (der sie 1965 verließ).

Von der Staatsgründung im Jahr 1948 bis 1977 führte sie ohne Unterbrechung die Regierung. Von 1992 bis 1996 und von 1999 bis 2001 lenkte sie ebenfalls die Regierungsgeschäfte. 1984-88 und 2001-2002 war sie an einer Großen Koalition mit der Rechten beteiligt.

Die Mitgliederschaft der Partei (derzeit knapp 120.000) rekrutiert sich überwiegend aus einkommensstärkeren Bevölkerungsgruppen europäischer Herkunft. Die politischen Leitlinien sind zionistisch und nichtreligiös. 1980 verabschiedete die Arbeiterpartei, die Mitglied der Sozialistischen Internationale (SI) ist, ein Wahlprogramm, das erstmals die Formel „Land für Frieden“ als Angebot an die Palästinenser enthielt. Das bedeutet die grundsätzliche Bereitschaft, Gebiete, die 1967 besetzt wurden, als Gegenleistung für einen dauerhaften Frieden und unter strikter Wahrung der Sicherheitsbedürfnisse Israels zurückzugeben.

Ihrem 1992 gewählten und 1995 ermordeten Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin und seinem Außenminister Shimon Peres war der Durchbruch in den Nahost-Verhandlungen zu verdanken, der 1993 zum Grundlagenvertrag mit den Palästinensern führte.

Nach dem Scheitern des ehemaligen Generals Amram Mizna, des Bürgermeisters von Haifa, der als Hoffnungsträger der Partei gegolten hatte, kehrte der heute 81-jährige Peres an die Spitze der Arbeiterpartei zurück.

Mit dem Angebot des Likud-Chefs Ariel Sharon, wieder in eine Koalition zurückzukehren, eröffnet sich für Peres neuerlich die Gelegenheit, maßgeblichen Regierungseinfluss auszuüben; diesmal wohl als Vize-Premier.

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