Gut einen Monat vor den geplanten palästinensischen Parlamentswahlen bahnt sich ein neuer Konflikt an. Aus israelischen Regierungskreisen verlautete am Mittwoch, die in Jerusalem lebenden Palästinenser dürften an der Abstimmung nicht teilnehmen – auch nicht per Briefwahl. Der palästinensische Interims-Regierungschef Nabil Shaath erklärte daraufhin, in einem solchen Fall werde die für den 25. Jänner angesetzte Wahl im Gaza-Streifen und Westjordanland abgesagt. Der israelische Verteidigungsminister Shaul Mofaz hat unterdessen die Streitkräfte angewiesen, sich auf eine neue Welle palästinensischer Gewalt vorzubereiten.
Wenn die Israelis darauf bestehen, uns keine Wahl in Jerusalem durchführen zu lassen, dann wird es überhaupt keine Wahl geben, sagte Shaath, der seit dem Rücktritt von Ministerpräsident Ahmed Korei die Funktionen des Regierungschefs ausübt, in Ramallah. (Korei war laut Gesetz verpflichtet, als Fatah-Spitzenkandidat sein Regierungsamt niederzulegen.) Ein ranghoher israelischer Regierungsbeamter sagte am Mittwoch vor Journalisten in Jerusalem, Israel wolle der radikalen Hamas-Bewegung nicht zum Wahlsieg verhelfen. Bei der Wahl wird mit einem guten Abschneiden der Hamas gerechnet, während die Fatah von Präsident Mahmoud Abbas an Boden verlieren dürfte. Abbas steht deshalb in den eigenen Reihen unter Druck, die Wahl nach Möglichkeit zu verschieben. Der Präsident hat diesbezüglich eine Einigung mit der Hamas gesucht, diese bestand jedoch auf einer termingerechten Durchführung.
Der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat erklärte, eine Absage der Wahl wäre eine Katastrophe für das palästinensische Volk. Es bestünde dann die Gefahr von Straßenkämpfen wie in Somalia, warnte er. Der ägyptische Geheimdienstchef General Omar Suleiman deutete bei einem Besuch in Tel Aviv eine Vermittlungsmission seines Landes an. Dabei sei eine Verschiebung der Wahl nicht ausgeschlossen.
Die Jerusalem-Frage gehört zu den Hauptstreitpunkten im Nahost-Konflikt. Die Israelis betrachten ganz Jerusalem als ihre ewige und unteilbare Hauptstadt, die Palästinenser beanspruchen den 1967 von Israel eroberten arabischen Ostteil als Hauptstadt ihres künftigen Staates. Der UNO-Teilungsbeschluss von 1947 sah vor, das ehemalige britische Mandatsgebiet in einen jüdischen und einen arabischen Staat zu teilen und Jerusalem als Sondergebiet zu neutralisieren. Die Vereinten Nationen hatten die Annexion Ostjerusalems durch Israel für illegal erklärt. Der Friedensplan Genfer Initiative unter Federführung des ehemaligen israelischen Justizministers Yossi Beilin und des palästinensischen Politikers Yasser Abed Rabbo sieht Jerusalem als gemeinsame Hauptstadt Israels und Palästinas vor.
Wie israelische Medien am Mittwoch berichteten, erklärte Verteidigungsminister Mofaz bei einer Krisensitzung mit führenden Heeres- und Geheimdienstoffizieren am Vortag, dass mit verstärkten Angriffen bewaffneter Gruppen im Gaza-Streifen, insbesondere der Hamas, gerechnet werden müsse. Der palästinensische Sicherheitsapparat im Gaza-Streifen funktioniere nicht, betonte Mofaz. Seine Sicherheitsdienste gehorchen Abu Mazen (Mahmoud Abbas) nicht, und wir müssen auf eine Neubelebung des Hamas-Terrorismus vorbereitet sein, wurde Mofaz zitiert. An der Krisensitzung nahmen unter anderen der Kommandant der südlichen Militärregion, General Yoav Galant, und der Chef des Inlandsgeheimdienstes Shin Beth, Yuval Diskin, teil. Als besonders beunruhigend habe Diskin die jüngste Entwicklung eingestuft, die auf eine Stärkung der Hamas und eine Schwächung der Fatah hinauslaufen würde.
Der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Michel Sabbah, hat neuerlich die von Israel errichtete Sperranlage im Westjordanland kritisiert. Bethlehem, die Geburtstadt Christi, werde so zu einem großen Gefängnis, sagte der Palästinenser Sabbah am Mittwoch bei seiner traditionellen Pressekonferenz zum bevorstehenden Weihnachtsfest. Israelis und Palästinenser rief er auf, das Blutvergießen zu beenden. Beide Völker brauchten endlich Frieden und Gerechtigkeit, um als friedliche Nachbarn nebeneinander leben zu können. In Bethlehem werden zu Weihnachten tausende Pilger erwartet. Sabbah wird die katholische Weihnachtsmesse in der Geburtskirche in Anwesenheit des palästinensischen Präsidenten Abbas zelebrieren.
Am Mittwoch wurden im nördlichen Gaza-Streifen zwei Lehrer einer amerikanischen Schule von bewaffneten Palästinensern entführt. Nach Augenzeugenberichten wurden die beiden Männer, ein Niederländer und ein Australier, auf dem Weg zur Arbeit in ihrem Auto angehalten und ins Fahrzeug der Geiselnehmer gezerrt. Ihr eigener Wagen wurde am Straßenrand zurückgelassen. .