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Irak: Ohne Strom und in ständiger Gefahr

Wer hat schon die Gelegenheit, Weihnachten in einem echten Palast zu feiern? Paula Zepeda kommt in diesem Jahr zu dieser Ehre. Sie würde alles darum geben, wenn sie nicht im Irak wäre.

„Das ist mein erstes Weihnachten ohne meine Familie“, sagt die 19-jährige Soldatin. „Ich fühle mich schlecht dabei, und für sie ist es auch schlimm, weil ich die Älteste von meinen Geschwistern bin.“

Seit sechs Wochen ist die junge Texanerin mit der vierten Infanteriedivision der US-Armee in Tikrit stationiert. Wie zahlreiche Kameraden aus ihrer Einheit auch ist sie in einem der Palastgebäude des gestürzten Präsidenten Saddam Hussein untergebracht. Doch aller Pomp und Prunk ihrer Unterkunft können nicht das Heimweh und die Angst aufwiegen, die den Soldaten das Weihnachtsfest gründlich vergällen.

Weihnachten im Irak, das erste nach dem Sturz Saddam Husseins, wird in diesem Jahr eine trostlose Angelegenheit: Nach Wochen voller Bombenanschläge durch Extremisten und Überfälle durch Kriminelle hat sich eine bleierne Angst über das Land gelegt. Die Menschen in Bagdad trauen sich kaum vor die Tür. „Im vergangenen Jahr haben wir noch von neun Uhr morgens bis in die Nacht hinein gefeiert“, berichtet der Bagdader Spirituosenhändler Sabieh Ischo, der der kleinen christlichen Gemeinde im Irak angehört. „Dieses Jahr haben wir die Feiern abgeblasen, weil es nicht sicher ist.“ Auch Ischos Kollege Danny Rass ist nicht zum Feien zumute. „Wir werden zu Hause bleiben und nicht einmal in die Kirche gehen“, sagt er. „Wo sollen wir auch schon hin? Es gibt keine Clubs und nichts.“

Für die rund eine Million Christen im Irak hat sich die Lage seit dem Sturz Saddam Husseins nicht unbedingt verbessert. Unter dem Ex-Machthaber waren die Christen wohl gelitten, seither herrscht Unsicherheit. Die Stromversorgung ist noch immer nicht gesichert, Ausfälle gehören zur Tagesordnung. Da ist es wohl ganz symptomatisch, dass die singende und tanzende Weihnachtsmannpuppe, welche die Geschäftsinhaberin Nadscheeba John in ihrem Laden aufgestellt hat, nur stumm und still dasteht.

„Wir haben Angst vor Explosionen“, sagt auch die Zahnärztin Nasreen Thomas, die ihr Weihnachtsfest sicherheitshalber zu Hause verbringen will. Und auch die Zukunft macht der 30-Jährigen Sorge: Noch stehe die neue irakische Regierung ja nicht fest, sagt sie. Vielleicht würden die Frauen ja bald unter Schleier gezwungen? Die Spirituosenhändler Ischo und Rass sehen das dagegen nicht so dramatisch. Moslems und Christen kämen in ihrem Land ganz gut miteinander aus, finden sie. Das Problem seien militante Extremisten und die Kriminalität. Schon drei seiner Freunde seien bei Überfällen getötet worden, berichtet Rasso.

Angst haben auch die US-Soldaten in Tikrit, der Heimatstadt Saddam Husseins, die bis heute eine Hochburg anti-amerikanischer Extremisten ist. „Ich werde zu Weihnachten daran denken, dass wir den Menschen in diesem Lande Hoffnung und Erneuerung gebracht haben“, sagt der Generalmajor Ray Odierno. Doch nicht jedem in seiner Einheit ist dies ein Trost. Und so tut die Armee alles Erdenkliche, um der Truppe die Festtage so schön wie möglich zu machen. Neben einer Reihe von Gottesdiensten gibt es mehrere Konzerte, ein Blasorchester spielt auf, der traditionelle Truthahn kommt auf den Tisch – sogar ein Weihnachts-Talent-Wettbewerb steht auf dem Programm.

In der Militär-Poststelle in Tikrit kommen seit ein paar Wochen jeden Tag zwei riesige Container mit Briefen und Päckchen an. Die verrücktesten Geschenke seien dabei, erzählt die Verwalterin Lashawnda Brown. Gitarren seien besonders beliebt, und einem Soldaten sei sogar ein ganzes Percussion-Set zugeschickt worden. Das vielleicht schönste Geschenk aber hat Oberst Steve Russell bekommen: Seine Frau und alle fünf Kinder haben ihm eine Videokassette mit ihren Grüßen aus dem fernen Texas geschickt. „Das bedeutet mir mehr als alles andere.“

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