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Irak: Mangelnde Sicherheit macht Leute krank

Niedergeschlagen sitzt Hussein Ali am Ufer des Tigris und starrt in den Sternenhimmel. Sein Atem riecht nach billigem Whiskey.

Der 30-jährige Ingenieur aus der irakischen Hauptstadt Bagdad trifft sich häufig mit anderen Männern am Ufer des Flusses, zum Trinken. „So kämpfe ich gegen das Gefühl an, lebendig begraben zu sein“, sagt Ali. Wie viele Iraker ist der junge Mann arbeitslos, den Glauben an eine bessere Zukunft hat er schon lange verloren. „Ich habe das Leben hier so satt“, jammert er.

Halb zerfallene Häuser mit Einschusslöchern säumen die teilweise zerstörten Straßen. Beinahe täglich explodiert irgendwo die Bombe eines Attentäters, die Angst vor Tod und Verwundung gehört für die Bewohner zum Alltag. Viele Iraker haben die Stadt deshalb verlassen. Hussein Ali ist geblieben. „Lieber sterbe ich, als weiter ein so tristes Leben zu führen“, sagt er.

Früher gab es viele Clubs und Discotheken in Bagdad. Am Ufer des Tigris reihten sich Restaurants und Cafés aneinander, Familien besuchten mit ihren Kindern das Theater, ein Museum oder den Zoo. Heute sind die Clubs und Restaurants geschlossen, die Türen des Theaters versperrt und die Museen geplündert. Die einzigen Vergnügungen, die es in Bagdad noch gibt, sind der Alkohol oder ein Besuch im „Atlas“, einem heruntergekommenen Kino am Stadtrand. Im einzigen Kinosaal wird der US-Film „Auf Bewährung“ gezeigt. Der Eintritt für drei Vorführungen kostet 1.000 Dinar (65 Cent), das Filmplakat zeigt hübsche Frauen in reizvollen Dessous – eine willkommene Abwechslung im tristen Alltag der vor Langeweile gelähmten Stadt. Doch der Kinobesuch hat auch noch einen anderen Vorteil: Hier gibt es einen Generator und eine Klimaanlage – in der Sommerhitze der Stadt ein überzeugendes Argument.

„Ich komme her, um ein wenig im Kühlen zu sein, bis der Strom wieder angestellt wird“, sagt der Ladenbesitzer Ahmed Sattar. In den vergangenen Wochen hat er sich den Film 14 Mal angeschaut. Die Handlung habe ihn dabei herzlich wenig interessiert, bemerkt Sattar. Aber wenigstens unterbricht der Kinobesuch seinen immer gleichen Alltagstrott: „Ich wache jeden Morgen mit Kopfschmerzen von der Hitze auf. Dann öffne ich mein Geschäft, aber es kommen nur wenige Leute. Um die Mittagszeit wird meist der Strom abgestellt, dann gehe ich hierher.“

Von einem Kinobesuch kann Shaimaa nur träumen. Die 16-Jährige verbringt ihre Zeit hauptsächlich zu Hause. „Früher hat sie alleine ihre Freunde besucht, hat in deren Häusern mit ihnen zusammen gelernt und gegessen. Da war es noch sicher hier“, erzählt ihr Vater Jaafar Mukhtar. „Jetzt lassen wir sie kaum noch aus dem Haus. Wir machen uns Sorgen um sie.“ Mukhtar lebt in ständiger Angst vor einem Überfall auf seine Tochter. „Der Mangel an Sicherheit hat dem Abschaum der Stadt Tür und Tor geöffnet. Gott bewahre, dass irgendein Betrunkener auf dumme Gedanken kommt und ihr etwas passiert.“

Shaimaa trägt aus diesem Grund auch bei größter Hitze ein Kopftuch und ein langes Gewand. Die konservative Kleidung soll ihr einen gewissen Schutz bieten. „Irakische Mädchen sind sehr modebewusst und modern“, sagt sie, während ihr die Schweißperlen über das Gesicht laufen. Dann zeigt sie auf ihr Kopftuch: „Für uns ist das ein Rückschritt. Außerdem ist es viel zu heiß, um so etwas zu tragen.“ Nur zu Hause kann Shaimaa die ungeliebte Kleidung ablegen. „Aber ich habe genug davon, immer zu Hause zu bleiben. Das alles langweilt mich so sehr.“

Zu Saddam Husseins Zeiten habe man zwar keine politische Freiheit gehabt, sagen viele Einwohner Bagdads mittlerweile. Aber wenigstens habe man bei Familienausflügen keine Angst vor Selbstmordattentätern haben müssen. Viele hoffen nun auf die Interimsregierung. Ministerpräsident Iyad Allawi hat ein neues Sicherheitsdirektorium angekündigt – eine Behörde, die die Terrorgruppen zerschlagen soll. Für die Bewohner von Bagdad kann sie nicht schnell genug kommen. Der 35-jährige Mohammed Abbas hat seine Familie beinahe 14 Monate lang kaum aus dem Haus gelassen – aus Angst um ihre Sicherheit. Das sei aber irgendwann unerträglich geworden, besonders für seinen fünfjährigen Sohn Ali, erzählt Abbas. Ali habe früher jeden angelächelt. Jetzt weine er jedes Mal, sobald er ein fremdes Gesicht sehe. „Dieses Leben der Langeweile hat mein Kind zerstört. Das muss aufhören.“

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