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Irak: "Die Verfassung spaltet den Irak"

Wie viele sunnitische Araber im Irak war Faleh Hassan gegen die von den USA angeführte Invasion. Wie viele von ihnen boykottierte er die Parlamentswahl im Januar, die zur Bildung der jetzigen Übergangsregierung führte.

Und wie viele der sunnitischen Araber will Hassan beim Verfassungsreferendum am kommenden Samstag mit Nein stimmen.

Seiner Ansicht nach haben die irakischen Kurden und die schiitische Mehrheit seit dem Sturz des Baath-Regimes von Saddam Hussein durch die US-Truppen vor mehr als zwei Jahren die Demokratie dazu genutzt, die Macht im Land unter sich aufzuteilen und die sunnitische Minderheit für das zu bestrafen, was viele Schiiten unter der Diktatur erleiden mussten. Aber der 55-jährige Ingenieur Hassan schaudert auch noch, wenn er an ein anderes Referendum vor zehn Jahren zurückdenkt. Damals ließ sich Saddam Hussein die Macht als absoluter Herrscher für weitere sieben Jahre vom Volk „bestätigen“. Saddam war einziger Kandidat, die Iraker konnten nur mit „Ja“ oder „Nein“ stimmen. Und sie wussten, ein Nein hätte Gefängnis oder gar den Tod bedeutet, wenn die allgegenwärtige Geheimpolizei davon erfahren hätte.

„Damals waren wir zur Teilnahme gezwungen“, sagte Hassan nach dem Besuch des Freitagsgebets in einer sunnitischen Moschee in der Innenstadt von Bagdad. „Heute kann uns niemand in der Regierung zur Teilnahme zwingen oder uns sagen, wie wir abstimmen sollen.“ Ein anderer Moschee-Besucher, der 45-jährige Händler Khaled Ibrahim, pflichtete Hassan bei. Er hoffe nur, dass er auch der Stimmenauszählung nach dem Referendum am 15. Oktober trauen könne, sagte Ibrahim und verwies darauf, wie stark den USA an einem „Ja“ gelegen sei.

Die sunnitischen Araber mobilisieren seit Wochen ihre Anhänger, um die Verfassung zu Fall zu bringen. Auch sunnitische Aufständische haben in den letzten zwei Wochen ihren Kampf gegen die von den USA gestützte Regierung mit Selbstmordanschlägen und Feuerüberfällen verstärkt und zahllose Menschen getötet, darunter viele Schiiten. Die USA befürchten, dass die Gewalt unmittelbar vor dem Referendum noch weiter zunehmen wird.

Nach den Abstimmungsregeln könnten die Sunniten – obwohl sie in der Minderheit sind – die Verfassung scheitern lassen. Denn das Grundgesetz tritt dann nicht in Kraft, wenn in mindestens drei der 18 Provinzen jeweils zwei Drittel der Wähler dagegen stimmen sollten. Die sunnitischen Araber stellen in vier Provinzen die Bevölkerungsmehrheit. Ein Versuch der Regierung, diesen Modus zu Ungunsten der Sunniten zu ändern, wurde in der vorigen Woche nach internationaler Kritik von der konstituierenden Nationalversammlung verworfen.

Egal, wie die Volksabstimmung ausgehen wird: nur wenige Iraker bezweifeln, dass sie fairer sein wird als das Plebiszit zur Bestätigung Saddam Husseins im Präsidentenamt am 16. Oktober 1995, also fast auf den Tag genau zehn Jahre zuvor. Das Referendum gewann Saddam Hussein damals nach amtlichen Angaben mit 99,6 Prozent. Die Beteiligung wurde mit 99,5 Prozent angegeben.

Der sunnitische Geschäftsmann Ahmed Nouri meint heute, viele Iraker hätten damals zu viel Angst gehabt, mit Nein zu votieren. Dank der demokratischen Reformen sei dies jetzt nicht mehr der Fall. Wegen der Anschlagsdrohungen Aufständischer und der anhaltenden Kämpfe sei der Gang zur Wahlurne am 15. Oktober aber dennoch viel gefährlicher als vor zehn Jahren. Er wolle aber trotz dieses Risikos an der Abstimmung teilnehmen und gegen die Verfassung stimmen, sagte der 35-Jährige. Diese Verfassung würde den Irak spalten und nur den amerikanischen Interessen dienen.

Von Thomas Wagner/Associated Press


Angst vor Gewalt beim Referendum

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