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Ioan Holender: "Nostalgie drückt mich in keinster Weise"

Noch-Opernballdirektor Ioan Holender im Interview mit der APA.

APA: Herr Direktor, man kennt die jahrelangen Vorplanungszeiten im Opernbereich – jetzt werden Entscheidungen für jene Premieren und Besetzungen getroffen, bei denen Sie schon lange nicht mehr Staatsoperndirektor sein werden. Was tun Sie eigentlich in Ihrer letzten Saison? “Rumsitzen”, wie es der Salzburger Festspiel-Intendant Jürgen Flimm bezogen auf seine Abschiedssaison gemeint hat?

Holender: Das Dümmste, das ich je gehört habe, ist von einem Leiter eines Opernbetriebs zu sagen, dass er in der letzten Spielzeit nichts zu tun hat. Im Gegenteil: Für den laufenden Betrieb habe ich sehr viel zu tun. Ich musste auch noch für die beiden ersten Premieren der Saison Ersatz-Dirigenten finden und im täglichen Betrieb sind auch tägliche Imponderabilien. Die Reisen sind allerdings weniger geworden, denn ich muss nicht mehr neue Künstler hören und sehen, wie ich es bisher gemacht habe. Nach meiner Berufsauffassung sollte man jeden kennen, den man engagiert. Es ist falsch, was Flimm gesagt hat. Sie sehen ja, was sich bei den Salzburger Festspielen abspielt: Erst jetzt haben wir erfahren, dass im Sommer doch ‘Lulu’ herausgebracht wird. Und man weiß noch nicht, ob man die Oper in der zwei- oder dreiaktigen Fassung spielt.

APA: Aber mit der Planung fällt nun das gestalterische Element weg. Geht Ihnen das nicht ab?

Holender: Ja, ich träume weniger über Vorhaben und entferne mich jeden Tag mehr von der operativen Gestaltungstätigkeit. Es ist anders. Und es wird anders, mein Leben, in acht Monaten. Aber so lange ich da bin, bin ich voll da. Zwei Drittel der eigenen Pläne sind ohnehin nie realisierbar, aber das eine Drittel wird mir abgehen. Und ich plane auch, etwa für die Opernball-Eröffnung, um eine Marginalie zu nennen. Ich habe mir da etwas, glaube ich, ziemlich Originelles ausgedacht und realisiert. Schwere oder Nostalgie drückt mich allerdings in keinster Weise. Diese nekrologische Stimmung empfinde ich nicht.

APA: Trotzdem: Um welche der nicht realisierten Pläne tut es Ihnen leid?

Holender: Ich glaube, dass im Leben immer mehr nicht so geworden ist, wie man es sich gedacht hat. Und das ist auch gut so, denn dadurch hat man noch weitere Vorhaben und Wünsche. Geschlossen ist das Werk nie. Die Abhängigkeit von so vielen Menschen hier bei jedem Vorhaben, von so vielen Gruppen, vom Orchester, vom Chor, von der Technik – ich habe noch nie einen Spielplan gehabt, wie ich ihn mir gewünscht hätte. Und schon gar nicht ist die letzte Spielzeit so. Es ist trotzdem einmalig, was wir hier erreicht haben.

APA: Andersrum gefragt: Ist es nicht auch eine Erleichterung, sich nach fast zwei Jahrzehnten um vieles nicht mehr kümmern zu müssen?

Holender: Doch! Und bei Ärger sage ich immer öfters: Gott, bin ich froh, dass ich mich mit diesen Dingen dann nicht mehr abgeben muss! Das kommt immer wieder vor. Auch bei Kritiken: Als ich eine der neuesten Kritiken gelesen habe, habe ich mir gesagt: Na gut, was der noch weiter schreibt, werde ich Gott sei Dank ab September nicht mehr lesen müssen.

APA: Sie sind ja auch bekannt dafür, Kritikern zu antworten und dabei auch auszuteilen.

Holender: Ich teile nicht aus, sondern ich verteidige das Haus und seine Künstler. Und ich bin nicht der Ansicht, dass man jede Meinung, die geäußert wird, unwidersprochen stehen lassen muss. Ich antworte manchmal. Nicht jedem, weil bei einigen lohnt sich nicht einmal die Antwort.

APA: Ein Kommentar zu den Salzburger Festspielen aber lohnt sich?

Holender: Es ist unwürdig, dass sich Salzburg in einen finanziellen Wettlauf mit der deutschen Provinzstadt Baden-Baden um die Berliner Philharmoniker begibt. Dass die zu Ostern in Salzburg spielen, ist ein historisches Relikt aus der Karajan-Zeit und schon seit dessen Tod obsolet.

APA: Ihre letzte Saison scheint wirtschaftlich keineswegs leicht zu sein. Wie geht es der Auslastung in der Wirtschaftskrise?

Holender: Der September war heuer besonders schlecht. Ich versuche seit vielen Jahren, die Spielzeit bis Mitte Juli zu verlängern und dafür erst Mitte September zu beginnen – leider erfolglos. Wir haben rund 500.000 Euro Mehreinnahmen bisher in dieser Saison, aber viel weniger als vor einem Jahr. Ich will nicht immer ‘Krise’ sagen. Aber es ist die Folge davon, dass die Menschen sich mit viel mehr Sorgfalt überlegen, wofür sie nicht bereit sind, Geld auszugeben.

APA: Aber muss man sich nicht Sorgen um die Oper im 21. Jahrhundert machen, wenn die Menschen so rasch bei den Opernbesuchen sparen?

Holender: Das ist kein Besorgnis erregendes Zeichen für die Oper. Ich kann es auch so formulieren: Es zeigt, wie wichtig die Oper den Menschen ist, wenn sie uns in diesen Zeiten noch immer eine halbe Million Mehreinnahmen bringen. Aber es zeigt auch, dass wir sehr aufmerksam sein müssen. 2010 wird mit Sicherheit tendenziell, was den Kartenverkauf betrifft, nach unten gehen.

APA: Wobei es ja dann das Problem Ihres Nachfolgers ist, wenn die Reserven aufgebraucht sind.

Holender: Ich fühle mich in meiner Amtsführung bestätigt, dass wir in den guten Jahren sparsam waren und Reserven haben. Ich hinterlasse hier eine beachtliche Erbschaft. Keiner meiner Vorgänger hat das Haus so gut ausgerichtet. Ich gehe mit dem allerbesten Gewissen weg. Es hat sich hier ein ökonomischer Geist heimelig gemacht, der dem Haus gut tut.

APA: Wie hoch ist denn diese Erbschaft?

Holender (zu dem für diese Frage beigeholten kaufmännischen Geschäftsführer Thomas Platzer): Sag es nicht zu genau. Gegen Ende sagen wir es aber genau!

Platzer: Es bleibt schon noch was über. Spielplanbedingt muss ich nicht davon ausgehen, dass es sich bei der laufenden Spielzeit auf Null ausgeht. Das betrifft aber nicht die Reserven.

APA: Die Staatsoper ist bei der Verteilung der zusätzlichen Subventionen für die Bundestheater fast leer ausgegangen. Früher hätten Sie um Ihren Anteil mehr gekämpft.

Holender: Ich bin stolz darauf, dass die Staatsoper vom Steuerzahler in meiner letzten Spielzeit nicht mehr braucht. Ich verstehe schon, dass ein Haus nicht etwas zusätzlich bekommt, weil es ersparte Eigenmittel hat. Das ist ungerecht, aber verständlich. Von den politisch Verantwortlichen wird nie gefragt, warum ein Haus Geld braucht, wobei die Frage berechtigt wäre! Doch gelobt wird auch nicht.

APA: Hat Ihr Nachfolger Dominique Meyer hier im Haus schon ein Büro?

Holender: Das hat er drüben, im Hanusch-Hof, wo auch ich vor zwanzig Jahren mein Büro hatte. Die Übergabe soll ja nicht den laufenden Betrieb belasten. Es wird erstmalig in der 140-jährigen Geschichte der Wiener Staatsoper ein friktionsfreier Direktionsübertritt stattfinden. Ich hätte unter Umständen noch ein Jahr oder zwei bleiben können, aber ich fand es richtig und habe bis heute nicht bereut, was ich damals am 21. Februar 2007 durch die APA kundgegeben habe. Am 1. Jänner 1989 hat es begonnen, am 31. August 2010 endet es. Niemand hätte davon geträumt, dass das so lange dauern wird, am wenigsten ich.

APA: Trotzdem hört man, dass dieser Übergang doch nicht ganz so reibungsfrei ist.

Holender: Was man hört, stammt von Menschen, die hier nicht ganz zufrieden sind. Die gibt es immer. Dass die sich jetzt mehr äußern, da sie wissen, dass ich gehe, ist selbstverständlich. Dass ich weniger gegrüßt werde, wenn ich nicht mehr da bin, auch. Hast’ keine Position mehr, hast’ keine Macht mehr. Der Betrieb läuft hier selbstverständlich in der Art und Weise, wie ich ihn führe, bis zum letzten Tag. Ich bin, bitteschön, im Amt nicht bis Ende Juni, sondern bis Ende August 2010, damit das klar sei, und auch ein bisschen Schrecken hier verbreitet. Ich habe auch die Absicht, hier im August noch zu amtieren. (lacht)

APA: Aber wie ist denn nun Ihr Verhältnis zu Meyer?

Holender: Auch wenn es manche gerne anders hätten: gut! Wir kennen uns schon lange, und ganz unmaßgebend war ich ja bei seiner Berufung bekanntlich nicht. Meyer übernimmt alle meine Mitarbeiter. Das ist nett, ich habe das von ihm nicht verlangt. Wenn er da ist, sehe ich ihn wenig, das ist richtig. Wir haben keine fixen Besprechungsrunden. Was soll er mit mir reden? Er muss ja mit allen anderen reden und sich Klarheit über das Vorhandene verschaffen. Natürlich glauben hier manche, jetzt kommen paradiesische Zustände. Das ist ganz normal. Ich glaube aber, dass er die Leistungen hier richtig einschätzt. Er kennt sich bei Stimmen aus. Das wird dann für so manche ernüchternd sein, wenn er amtierenderweise da ist.

APA: Wie wird die Übergabe des Direktoren-Büros?

Holender: Ich muss einmal schauen, was da bleibt und was mir gehört. Ich werde sicher auch mit Meyer besprechen, was er haben will. Nicht, dass ich ihm alles dalassen werde. Hier hängen so viele Fotos, das ist ja schon fast Zeitgeschichte. So viele Bundespräsidenten und Bundeskanzler. (Holding-Chef Georg, Anm.) Springer sagte, ich soll das nach Hause nehmen. Aber ich staffier’ mir sicher nicht die Wohnung aus damit. So viele Zimmer habe ich gar nicht.

APA: Und nach der letzten “Parsifal”-Vorstellung, was machen Sie dann?

Holender: Ich gehe sehr bald nach Hause, denn der nächste Tag ist Donnerstag, dann spiele ich sicher wichtige Tennis-Doppelpartien am WAC.

APA: Zum Abschied kann man mit Politiker-Reden rechnen. Ihr Verhältnis zur Kulturpolitik war auch nicht immer friktionsfrei.

Holender: Die entscheidenden kulturpolitischen Gesprächspartner möchte ich nicht gleichsetzen mit den jeweiligen Kultur-Politikern, sondern mit den Kanzlern. Franz Vranitzky als Bundeskanzler war die entscheidende Persönlichkeit für unsere Bestellung und in den ersten acht Jahren. Jetzt kann ich mich mit Sicherheit nicht an den Bundeskanzler wenden. Der hat weder ein offenes noch ein geschlossenes Ohr dafür, keine Nähe zu all’ dem, was wir hier tun, vorhaben oder nicht vorhaben. Rudolf Scholten war ein Kulturminister, zu dem man fast täglichen Kontakt hatte. Wittmann war wichtig, weil unter ihm haben wir die eminent wichtige Ausgliederung geschafft und Hilde Hawlicek und Franz Morak haben immer an mich geglaubt – das gab mir Kraft.

APA: In Ihrer Aufzählung fehlt die aktuelle Kulturministerin Claudia Schmied.

Holender: Mein Kontakt zu ihr ist seit ihrem Amtsbeginn gut, korrekt und in Ordnung.

APA: Wie sehen Sie nun den Abschiedsreden entgegen?

Holender: Wer soll Reden halten?

APA: Die kommen unweigerlich.

Holender: Aber ich bin ein Sonderfall. Ich bin Ehrenmitglied der Staatsoper seit 1995 – und werde es also nicht erst beim Abgang wie meine Vorgänger – und Ehrenmitglied der Volksoper seit 13 Jahren. Ich habe die höchste Auszeichnung des Bundes, das Große Goldene Ehrenzeichen. Ein Nicht-Politiker kann nicht mehr kriegen. Ich bin ausdekoriert.

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