Inzest-Fall: "In fünf Tagen ist endlich alles vorbei"
Mit diesen Worten verzieht seine Kellnerin halb amüsiert, halb ermattet die Mundwinkel. Nirgendwo ist man dem Haus von Josef F. näher als in dem kleinen Eck-Cafe, nirgendwo sonst in Amstetten wurden jemals mehr internationale Medienvertreter gesehen. Jetzt, wo der Prozess in St. Pölten begonnen hat, herrscht in der Mostviertelmetropole fast schon wieder alltägliche Ruhe: und kaum jemand will, dass sich das ändert.
Herr Pramreiter ist kein aufdringlicher Mensch. Wenn jemand nicht über den Fall F. reden will, dann ist das für ihn in Ordnung. Doch wer schafft das schon? “Haben Sie auch gehört, dass der möglicherweise in sechs Jahren wieder freigeht?”, “Was passiert jetzt mit dem Haus?” und “Glauben Sie, dass er sich aufhängt oder seine Memoiren schreibt?”. Fragen über Fragen fliegen durch den Raum, Schultern zucken abwechselnd, Zigaretten werden gedankenverloren auf halber Länge ausgedämpft.
Was auch sehr komisch sei, so jetzt im Nachhinein gesehen, grübelt Herr Pramreiter, warum die anderen Hausbewohner so plötzlich ausgezogen sind. Oder ausziehen mussten, wie es bei einem Nachbarn von F. der Fall gewesen sei. Wahrscheinlich, vermutet der Kaffeehausbetreiber, werden sich bald ausländische Medienkonzerne das Haus unter den Nagel reißen, die Sachen mit dem Verlies ausschlachten und dann die Immobilie schnell wieder abstoßen.
Eine Gruppe TV-Journalisten erhebt sich seufzend von ihren Sitzen. “Na ja, pack’ mas.” Noch eine Runde ums Haus, noch einmal die selben Bilder von der Rückseite aus hässlichem Waschbeton, von der Garageneinfahrt, vielleicht ja sogar ein Interview. Obwohl die Amstettner “die Schnauze schon voll haben” von der Fragerei, wie die Kellnerin meint. Ein paar Tage noch, dann ist endlich alles vorbei.
“Apropos Garage”, wirft die Kellnerin ein, bläst den Rauch aus und kichert: “Ich hab’ einmal in der Dammstraße geparkt und bin mit dem Heck vielleicht einen halben Meter in die Garageneinfahrt vom F. gestanden. Obwohl der da locker rausgekommen wäre, ist er aus dem Haus geschossen und hat mich aber so was von zusammengeputzt. Ich hab’ gar keinen Ton herausgebracht. Das war ein paar Wochen bevor die ganze Geschichte bekanntgeworden ist. Schon komisch, irgendwie.” Persönliche Begegnungen mit F. – vor einem Jahr noch Alltag – heute eine Schauergeschichte.
Ein einsamer Übertragungswagen einer slowenischen TV-Station langweilt sich in der Dammstraße. Der befürchtete zweite Medienansturm auf Amstetten ist bis jetzt einigermaßen ausgeblieben. Dabei hat Herr Pramreiter gestern, am Sonntag, wieder einige Interviews geben müssen. Dabei ist “müssen” so ein starkes Wort. Wirklich stören tut es ihn ja mittlerweile nicht mehr, wenn Kameras und Mikrofone auf ihn gerichtet sind. Aber jetzt hofft er, dass niemand mehr kommt, keine Medienhorden, die über sein kleines Cafe herfallen. Endlich wieder Alltag, ein kleiner Brauner da, eine Melange dort, den Aschenbecher ausleeren und mit seiner Stammkundschaft über irgendwas alltägliches reden. Nicht über F., das wäre fein.