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Indonesischer „Ground Zero“

„Der Besitzer dieses Hauses ist am Leben“ oder „Wir müssen alle sterben“ ist auf den spärlichen Ruinen der Gebäude zu lesen. Der Indonesischer „Ground Zero“ wird zur Touristenattraktion.

Neben dem Marmorboden, der nur mehr verdreckt und zersplittert die ehemalige Pracht des zerstörten Gebäudes erahnen lässt, flattert auf einen Besenstiel gesteckt die rot-weiße indonesische Flagge. Sie markiert den Anspruch des früheren Hausbesitzers auf seinen Grund und Boden. Vor knapp drei Monaten, am 26. Dezember 2004, hatten bei der Flutkatastrophe in Sumatra bis zu 25 Meter hohe Wellen Gebäude sowie rund 170.000 Menschen unter sich begraben.

Das Bild, das sich hier bietet, kann allenfalls mit den Worten Weltuntergang und totaler Zerstörung beschrieben werden. Neben den wenigen Einheimischen, die sich zum Wiederaufbau auf eigene Faust entschlossen haben, finden sich am so genannten indonesischen Ground Zero auch einige in- und ausländische Katastrophen-Touristen ein. „An Sonntagen herrscht hier regelrechter Touristen-Hochbetrieb“, erzählt Werner Meisinger vom Österreichischen Roten Kreuz (ÖRK).

Der Vorarlberger Meisinger ist seit fünf Wochen mit seinem achtköpfigen Team an Ort und Stelle im Einsatz. Wasseraufbereitung lautet ihre Mission, die oftmals von einigen Komplikationen begleitet wird. Immer wieder entdeckten die ÖRK-Mitarbeiter auf ihren Rundfahrten so genannte IDP-Camps (Internaly displaced people-Camps), zumeist in den Hügeln gelegene Zeltdörfer, in die sich jeweils 20 bis 150 Menschen geflüchtet haben und dringend sauberes Trinkwasser benötigen. Problematisch gestaltet sich die Wasserversorgung dieser Camps allerdings vor allem deshalb, weil sie oftmals mitten im Rebellengebiet liegen.

Trotz des nach dem Tsunami zwischen Regierung und Rebellen ausgehandelten Waffenstillstands kommt es immer wieder zu tödlichen Zwischenfällen. Wasserlieferanten scheuen daher den gefährlichen Weg. In dem Camp „Lokh Mee“ fanden die österreichischen Helfer am Mittwoch zum Beispiel einen Wassertank, der bereits seit knapp einer Woche leer stand.

Auch so genannte Relok-Camps (Relocation Camps) werden mit von österreichischer Hand aufbereitetem Trinkwasser versorgt. Gemeint sind Übergangsdörfer aus Holz und Wellblech, die unter der Leitung der indonesischen Regierung gebaut werden. Auf 20 Quadratmetern finden hier rund fünf Obdachlose ein Dach über dem Kopf. Pro Baracke haben 60 Personen beziehungsweise zwölf Familien Platz.

Trotz Chaos und Zerstörung ist von Verzweiflung und Trauma der Einheimischen nichts zu spüren: Auf den Straßen Banda Acehs tobt wieder das Leben, die Menschen winken den europäischen Helfern und Katastrophen-Touristen lachend zu und zahlreiche unversehrte Villengegenden zeugen von einem gewissen Reichtum der von Touristen bisher eher gemiedenen Region.

Die österreichischen Rot-Kreuz-Helfer erklären die Ausgelassenheit der Menschen mit der „typisch asiatischen Gelassenheit“. „Mein Haus ist weggespült. Vater, Mutter und Geschwister auch. Alle tot“, erklärt uns ein freundlich lächelnder 20-jähriger Indonese. Er steht in einer Schuttwüste vor seinem Grundstück, an dem die rot-weiße Flagge weht.

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